Thema: Leseprobe "Die Diener der Dunkelheit" Mo März 10, 2008 9:31 pm
1. Die Glocke im Turm des kleinen Dorftempels schlug Mitternacht, aber der Atem des tobenden Sturmes riss ihren Klang ungehört mit sich. Schon seit geraumer Zeit wütete der Wind um die Häuser. Wie ein wild gewordener Dämon riss er Dachziegel, Schornsteine und Stroh mit sich. Er rüttelte an den Fensterläden, von denen einige, schon aus ihren Befestigungen gerissen, nun hoffnungslos dem Spiel des Windes ausgesetzt waren. Das Dorf war bis auf das Wirthaus unbeleuchtet, nur schemenhaft konnte man die anderen Hütten erkennen. Flackerndes Kaminfeuer fiel durch die Fenster nach draußen, schaffte es aber nicht das Dunkel aufzuhellen. Es schien fast so als würde das wenige Licht, das den Boden erreichte, von der umgebenden Dunkelheit aufgesogen. Schatten tanzten in den Ecken des Schankraumes, in dem sich die drei Dutzend Dorfbewohner, Erwachsene wie Kinder, ängstlich aneinander drängten. Die Männer waren allesamt bewaffnet, nervös durch die Fenster starrend umklammerten sie ihre Schwerter. Ein gewaltiger Donner ließ die Wände erbeben, so nah war das Gewitter, das trotz allem keinen Regen mit sich gebracht hatte. Ein Blitz tauchte den Raum sekundenlang in gleißende Helligkeit, in der Nähe des Gebäudes war das Bersten von Holz zu hören. Urplötzlich legte der Sturm eine Pause ein, und wie als hätte er auf diesen Moment gewartet, ließ in der Ferne ein Wolf sein heiseres Heulen erklingen. Seine Gefährten antworteten ihm und minutenlang war die Nacht erfüllt von Gesang der Wölfe...dann legte sich absolute Stille über das Dorf. Furchtsam rückten die Menschen im Schankraum noch enger zusammen. Jeder hier kannte die Geschichten der Ahnen, die davon berichteten, dass sich in Nächten wie dieser die Tore zur Schwarzen Burg öffneten, und die Diener der Dunkelheit ihr grausames Spiel mit den Menschen spielten. Natürlich glaubten nur die Kinder wirklich an diese Legenden, wurde ihnen doch immer damit Angst gemacht, dass der Dunkle seine Diener schicken und sie holen würde, wenn sie nicht brav seien. Doch jeder Erwachsene im Raum gestand sich ein, dass dieser unheimlichen Nacht bereits böse Vorzeichen voran gegangen waren. So war die mühsam eingebrachte Weizenernte dieses Jahres einem Feuer zum Opfer gefallen, unter der Herde des Dorfes wütete die Maul- und Klauenseuche und erst vor ein paar Tagen war die Frau des Bäckers bei der Geburt ihrer dritten Tochter gestorben. Das Kind selber war, mit nur drei Fingern an jeder Hand und weißen Augen, verkrüppelt zur Welt gekommen. Natürlich war das unselige Wesen sofort ertränkt worden aber die alte Marlina, die Weise Frau des Dorfes, sah in den Zeichen eine schwere Zeit für das Dorf. Wieder erhellte ein Blitz die Nacht und schlug ganz in der Nähe der Schänke ein. Im selben Augenblick flog die Tür des Hauses auf und der kalte Wind, der von draußen hereinfauchte, ließ das Kaminfeuer aufflackern und verglimmen. Draußen hatten sich die Wolken verzogen und einen fahlen Vollmond freigelegt, dessen bleiches Licht nun durch die Tür in die dunkle Schankstube fiel. Die atemlose Stille der Nacht wurde nun von Schritten durchbrochen und im Türrahmen blieb, ihrem vorausgegangenen Schatten folgend, eine Gestalt stehen. Einer der Männer hatte eine Fackel entzündet und in ihrem unruhigen Licht offenbarte sich die Gestalt als eine junge Frau in einer bodenlangen, schwarzen Robe. Den Kopf leicht gesenkt, ließ die Kapuze zwar ihr Gesicht erkennen, überschattete aber ihre Augen. Wie ein Mann zogen die Dörfler ihre Waffen und postierten sich schützend vor den Frauen und Kindern. Das Gesicht der düsteren Besucherin, von langem, seidigschwarzem Haar umrahmt, verzog sich zu einem spöttischen Lächeln und mit dem Heben des Kopfes fiel die Kapuze zurück. Emotionslose, schwarze Augen blickten den Dörflern entgegen. „Ich bin hier, um euch darüber zu informieren, dass Baraghor, Herr der Finsternis, Gott der Nacht und alleiniger Gebieter über Heron, diesen Landstrich für würdig befindet, seinen Truppen hier eine neue Feste zu errichten. Dieses Dorf allerdings ist der Straße zur Feste im Weg. Ihr habt bis morgen abend Zeit, eure Sachen zu packen und zu gehen. Wer sich weigert...“ Einer der Männer machte einen Schritt nach vorne und packte sein Schwert fester. „Spar dir den Atem, Kreatur des Bösen. Du machst keinem von uns Angst. Wir haben die Macht des Lichts an unserer Seite. Also verschwinde, bevor ich dir deine Worte in deinen stinkenden Rachen zurückrammen!“ Eine fein geschwungene Augenbraue hob sich zweifelnd, als die junge Frau den Sprecher musterte. „Du...und welche Armee? Hund, der du bist, wagst es mir zu drohen? Mir, einer Tochter der Nacht? Glaubst du allen Ernstes, mich besiegen zu können?“ Der Mann nickte stumm und hob sein Schwert, bis die Spitze der Klinge auf das Herz der Fremden wies. Hinter ihm entstand Tumult. Eine alte, gebeugte Frau bahnte sich mit funkelnden Augen einen Weg durch die zusammengedrängten Frauen. Sie blieb neben dem Kämpfer stehen. „Fürchte dich nicht, Jorus, diese Kreatur kann dir nichts anhaben, solange ich bei euch bin. Höre mich, Speichellecker des Dunklen, ich bin Marlina, Hüterin dieses Dorfes und Adeptin des Lichtes. Verlasse diesen Ort oder ich werde dich vernichten!“ Die Fremde griff sich mit gespieltem Entsetzen an die Brust. „Ich bin erschüttert! Höre zu, alte Frau. Ich versichere dir, dass du gegen mich mehr auffahren musst als nur einen kleinen Wetterzauber oder die Geste gegen den bösen Blick. Wie lange ist es her, dass du wahre Magie gewirkt hast? Zehn Jahre? Zwanzig? Aber bitte, versuch dein Glück...komm, vernichte mich. Ich werde auch nicht ausweichen...versprochen.“ Marlina trat mit misstrauischem Gesicht einen Schritt vor, straffte sich, soweit es ihre müden Knochen zuließen und hob die Hände. Mit zu der Fremden gerichteten Handflächen intonierte sie ihren Zauber.
“Bareth palan ler chared teligur per lanes silvren Bareth Bareth Bareth! sahid hodgores noso koser meran teligur per lanes silvren!”
Die Luft zwischen Marlina und der Fremden flimmerte kurz und wurde dann zwischen Decke, Boden und den Wänden zu einer milchigweißen Wand. Mit einem erleichterten Seufzer senke der Mann seine Waffen und legte der alten Frau die Hand auf die Schulter. Beide wandten sich um, um zurück zu den anderen Dörflern zu gehen, als ein leises Geräusch sie innehalten ließ. Der Mann blickte über die Schulter zurück und seine Augen weiteten sich entsetzt, als er sah, dass die junge Frau leise in sich hinein lachte und die magische Barriere fast mitleidig musterte. „Wen willst du damit aufhalten, alte Frau? Fußkranke Schnecken? Hier, sieh zu und lerne. Ich zeige dir, was richtige Macht ist!“ Sie hob die rechte Hand und wies auf die Barriere. Kurz verengten sich ihre Augen, dann ballte sie die Hand zur Faust...und die magische Wand verschwand. Marlina stöhnte entsetzt auf. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie hob die Hand und wollte grade den nächsten Zauber wirkten, als Jorus sie beiseite schob. „Wo Magie nicht hilft, hilft Stahl!“ Er sprang vor und führte einen Hieb gegen den Kopf der Fremden. Diese tauchte geschmeidig darunter hinweg und warf in einer fließenden Bewegung ihre Robe von sich. Ihre Kleidung bestand aus schwarzem gefärbtem Wildleder, um ihren Hals funkelte ein silberner Anhänger in Form eines schlafenden Drachens. Von einer Sekunde auf die andere hielt sie ein Schwert in der Hand. Die Klinge, oberhalb des Heftes mit Widerhaken versehen, war geflammt und zweischneidig geschliffen, der Knauf endete in einer Drachenklaue. Das Licht des Mondes brach sich auf dem dunklen Metall und fast meinte Jorus, der beim Anblick der Waffe erstarrt war, zu sehen, wie das Schwert das Licht aufsog. Die Fremde strich fast zärtlich über die Klinge und als sie sprach, klang ihre Stimme, als wäre sie mit den Gedanken weit weg. „Seht die Schattenklinge, das letzte der Schwarzen Schwerter. Unbesiegt und mit tödlichem Biss. Es kämpft nur um des Kampfes Willen. Es kämpft, um Blut zu schmecken. Sei kein Narr, Jorus, sieh’ ein, dass du gegen mich nicht gewinnen kannst. Steck dein Schwert weg und überlebe den Abend.....oder greif’ mich an und dein Tod ist so gewiss wie der Sonnenaufgang!“ Mit einem unterdrückten Wutschrei griff Jorus wieder an und hieb auf die junge Frau ein. Doch für sie war es ein Leichtes, seinen wuchtigen, unpräzisen Schlägen auszuweichen. Marlina flüsterte unterdessen einen weiteren Zauber, um Jorus zu unterstützen. Aus der Luft formte sie einen weißleuchtenden Pfeil und sandte ihn mit einer Handbewegung gegen die fremde Angreiferin. Doch als diese, den auf sich zurasenden, Pfeil gewahrte, schenkte sie ihm nur einen vernichtenden Blick und mit einem Zucken der Finger hielt sie ihn, mitten in der Luft vor sich schwebend, an. „Alte Frau, du wirst lästig! Ich habe dir und dem Rest dieses Getiers hier die Chance gegeben, schadlos zu gehen. Nun ist meine Geduld erschöpft. Wisse, dass du für ihr jetziges Schicksal verantwortlich bist! Du sollst auf ewig in diesem Dorf gebannt sein und mit deiner Schuld existieren. Mögen dir die Tore zur 5. Ebene für immer verwehrt sein!“ Die schwarzgewandete Frau beschrieb mit der Hand einen Kreis, der Pfeil drehte sich um seine Längsachse und schoss auf Marlina zu. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen, als das Geschoss in ihrer Brust einschlug und scheinbar durch sie hindurch glitt. Die Dörfler, die hinter ihr standen, konnten sehen, dass dem Pfeil folgend, Marlina’s Geistergestalt, durchscheinend und silbrigschimmernd, aus dem Körper der alten Frau gerissen wurde. Unsäglicher Schmerz verriss Marlinas Gesicht zu einer Fratze, als sie ihren toten Körper auf dem Boden aufschlagen sah. Jorus, der bisher wie angewurzelt dem magischen Duell beigewohnt hatte, fuhr nun herum und attackierte die Fremde mit kurzen, heftigen Schlägen. Mit schlafwandlerischer Leichtigkeit verteidigte sie sich und schenkte seinem Bemühen nicht mehr als ein kaltes Lächeln. „Du Narr. Du hattest die Wahl. Nur empfange den Tod aus meiner Hand!“ Im gleichen Atemzug duckte sie sich unter einem Schlag, der ihr den Kopf von den Schultern geholt hätte. Sie ließ sich ruckartig nach vorne auf die Knie fallen und riss die Spitze ihrer Waffe nach oben. Jorus, seines Zieles beraubt und durch sein eigenes Gewicht nach vorne gerissen, stolperte in die Klinge hinein. Grenzenloses Entsetzen breitete sich auf seinen Gesichtzügen aus, als er sich das Schwert bis zum Heft durch die Brust trieb. Ganz langsam brach er in die Knie und als seiner Augen mit denen seiner Gegnerin auf gleiche Höhe waren, sah er die bodenlose Schwärze einer gefühllosen Seele in ihnen schimmern. Urplötzlich und mit unbeschreiblicher Geschmeidigkeit stand die junge Frau wieder auf und auf einen Wink von ihr, verschwand die Klinge in das Nichts zurück, aus dem sie gekommen war. Jorus steckte die Hand aus, um nach ihrem Bein zu greifen, verlor aber durch diese Geste das Gleichgewicht und fiel nach vorne. Eine große Blutlache breitete sich unter seinem Körper aus und mit einem letzten Seufzen starb er. Mit einer knappen Geste, die Unwissende wohl als Bedauern hätten interpretieren können, schüttelte die Siegerin dieses ungleichen Kampfes den Kopf. Dann wandte sie sich langsam den erstarrten Dörflern zu. Ein kaltes Lächeln, das die Augen nicht erreichte, ließ die restlichen Männer einen Schritt zurückweichen. „Nun zu euch. Ich hege nicht das Verlangen, gegen jeden eurer Krieger anzutreten und auf neuerliches magisches Geplänkel kann ich auch verzichten. Um es kurz zu machen...schließt mit eurem Leben ab und empfehlt euch euren Göttern - ihr werdet ihnen in Kürze gegenüber stehen.“ Sie hob die Arme und die Luft um ihre Hände herum wurde zu schwarzen Schlangen, die sich um ihre Unterarme wanden. Als sie die Arme über den Kopf hob und sich ihre Hände berührten, wurden die Schlangen zu einem sich windenden Knäuel absoluter Finsternis. Mit geschlossenen Augen intonierte die Frau die Zauberformel, deren Wirkung das Schicksal des Dorf und seiner Bewohner endgültig besiegeln würde.
“Nareghs esen kyrim kuntes lean care! Lar mate ler charad es dan!”
Mit einer fließenden Bewegung warf sie den nun mit dem Mut der Verzweiflung voranstürmenden Männern die Kugel aus zuckender Dunkelheit entgegen. Dann nahm sie in aller Seelenruhe ihre Robe vom Boden auf und verließ den Schankraum. Drinnen schlug die Kugel auf dem Boden auf und ihre geballte Kraft brach sich mit einen Donnergrollen ihre Bahn. Von der Druckwelle von den Füßen gerissen, entgingen die Männer durch ihren sofortigen Tod der Welle magischen Wahnsinns, der nun unter die Frauen und Kinder fuhr und dort reiche Ernte hielt. Gegenseitig erwürgten oder erschlugen sie sich, gellende Schreie ausstoßend und durch die Magie ohne jegliches Empfinden. Als das letzte Röcheln erstarb wurde es still in der kleinen Schenke, doch dann zerriss ein gequälter, langgezogener Schrei das Schweigen der Nacht - Marlina stand in der Mitte des Raumes und blickte auf die toten Leiber ihrer Freunde und ihrer Familie herab. Langsam lösten sich die Geisterkörper aus den Leichen und verblassten, um in die fünfte Ebene einzugehen. Marlina blieb alleine zurück. Plötzlich wurde die Nacht außerhalb des Raumes von einem gewaltigen Feuerstrahl erhellt und eins nach dem anderen gingen die Häuser des Dorfes in Flammen auf. Über den brennenden Ruinen zog ein riesiger Schatten seine Kreise, stieg höher und verschmolz mit der Dunkelheit des Nachthimmels. Der Rauch des Feuers quoll zu den Sternen auf und mit der Rauchglocke legte sich Schweigen über die Nacht. Kein Vogel, kein Insekt und kein Tier gab einen Laut von sich. Es schien, als würde das Leben angesichts der Zerstörung des Dorfes den Atem anhalten und in Trauer schweigen.
Weit entfernt, am andern Ende des Kontinents, schrak ein alter Mann aus dem Schlaf auf. Seine Haut prickelte und seine Träume waren voller Feuer und sterbender Menschen. Verwirrt und seiner inneren Ruhe beraubt, setzte er sich vor seine Hütte und sah zu den Sternen auf, versuchte in ihren Bildern die Antwort auf seine stummen Fragen zu finden.
Zuletzt von Kaljana am Mo März 10, 2008 9:32 pm bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet
Kaljana
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Thema: Re: Leseprobe "Die Diener der Dunkelheit" Mo März 10, 2008 9:31 pm
2. In dem hastig aufgeschlagenen Lager herrschte Unruhe, Hektik und Nervosität. Wo sonst geordnetes, von Befehlen und Routine bestimmtes Handeln an der Tagesordnung war, regierte nun heilloses Durcheinander. Rufe gellten zwischen den hastig und wackelig aufgestellten Zelten hin und her, verstörte Soldaten versuchten noch verstörtere Pferde zu beruhigen. Es war nur eine knappe halbe Stunde seit der Sichtung der Drachensilhouette vor der blassen Mondscheibe vergangen und jeder fürchtete nun einen Angriff. Aber allem Anschein nach hatte die gewaltige Flugechse kein Interesse an einer aus verschreckten Soldaten bestehenden Mahlzeit. Sie war hinter den Gipfeln der Steinernen Grenze verschwunden. „Sieht so aus, als würden es die Götter heute Nacht gut mit uns meinen, Hauptmann. Wer sieht schon mal einen Drachen und überlebt es dann auch noch?“ Der junge Mann in der dunklen Uniform zuckte unmerklich zusammen. Verwirrt blickte er in die Richtung, in welche das geflügelte Untier abgedreht hatte. Kopfschüttelend wandte er sich an den Soldaten neben sich. „Stellt Wachen auf. Alle zwei Stunden wird gewechselt. Keinen Alkohol heute. Und die Bogenschützen sollen darauf achten, dass immer mindestens einer von ihnen wach ist – obwohl ich mir sicher bin dass heute keiner von uns sehr tief schlafen wird. Der Mann salutierte und verschwand, um die Befehle seines Hauptmannes weiterzugeben. In seinem Zelt angekommen zog dieser die Stiefel aus und legte sich auf seine Pritsche. Nachdenklich heftete sich sein Blick an das Zeltdach. Er war erst vor kurzem in seinen Rang erhoben worden, seit Wochen weit weg von zu Hause…und völlig durcheinander. Aber Tyal, Sohn des Rodan, Kronprinz von Siihr, ließ sich von einem Fabelwesen – wie lebendig es auch erschienen und sichtbar gewesen war – nicht aus der Ruhe bringen. Viel verwirrender war die Tatsache dass ihm die Silhouette des Reiters, den er zwischen den mächtigen Schulterblättern des Drachen gesehen hatte, nicht aus dem Kopf ging. War es denn einem normalen Menschen überhaupt möglich, einen Drachen zu reiten? „Wer hat denn behauptet, dass ich ein normaler Mensch bin, Hauptmann?“ Tyal fuhr auf, seine Hand ergriff seinen Dolch. Ihm gegenüber, auf dem Schemel vor dem Kartentisch, saß eine in eine schwarze Robe gehüllte Gestalt, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Filigrane Finger, scheinbar die einer Frau, zogen die Marschrouten auf dem Papier nach. Die Haut, die diese schlanken Finger überzog war weiß, schimmerte im Kerzenlicht jedoch beinahe golden. Seelenruhig saß die Person da, diese Person, die Tyal weder hatte herein kommen sehen noch gehört hatte. Vollkommen entgeistert saß er auf seiner Pritsche, sekundenlang starrte er den Eindringling an. Dann aber fasste er sich. „Wie….wie seid Ihr hier hereingekommen? Wache, zu mir!“ Die Gestalt schüttelte langsam den Kopf. Etwas, das ein Seufzen hätte sein können, erklang aus dem Schatten der Kapuze. „Spart Euch den Atem, Hauptmann. Keiner Eurer Männer ist in der Lage mich wahrzunehmen, so ich es nicht will.“ Ein Soldat erschien im Zelteingang. Sein Haar war zerzaust, sein Hemd hing ihm halb aus der Hose – alles in allem wirkte er sehr „geweckt“. „Hauptmann?“ Tyal drehte sich zu dem Mann um. Er runzelte die Stirn, erstaunt, dass der Mann den Eindringling nicht ansprach, ja, nicht einmal ansah. „Fällt…,“ Tyal leckte sich die trockenen Lippen „…fällt dir hier drinnen denn gar nichts auf?“ Der Mann ließ verwirrt den Blick durch das Zelt schweifen. Ein Gähnen unterdrückend antwortete er seinem Vorgesetzten. „Ähm…ich weiß nicht ganz, was Ihr meint, Hauptmann. Ihr seid hier drin, ich, ein Tisch, zwei Schemel, Eure Pritsche und Eure Satteltaschen. Auf dem Tisch die Marschkarten, ein Becher und ein paar Kerzen.“ Tyal schaute sich ebenfalls im Zelt um. Bis auf die Tatsache, dass bei seiner Untersuchung eine vermummte Gestalt auf einem der Schemel saß, war das Innere des Zeltes wie von seinem Mann beschrieben. Er wandte sich wieder dem Soldaten zu. „Danke, Fähnrich, und zurück auf Posten. Aber wenn ich dich noch einmal auf Wache eingeschlafen erwische, zieh’ dich warm an!“ Der Mann grinste Tyal verlegen und gleichzeitig erleichtert an und verschwand. Der junge Hauptmann fuhr zum Tisch herum als unter der Kapuze ein spöttisches Schnauben erklang. „Ihr hättet auf mich hören sollen. Ich hab es Euch gesagt, Hauptmann. Niemand sieht mich wenn ich es nicht will.“ Tyal ließ sich auf seine Pritsche zurücksinken und legte die Hände vor die Augen. „Und was wollt Ihr von mir? Warum seid Ihr hier?“ Als Antwort auf seine Frage erklang aus der Kapuze ein leises Lachen, das ihn fast an ein Glockenspiel im Wind erinnerte. Jetzt war er sich sicher, dass sein Gegenüber eine Frau war „Was ich von Euch will? Nun, eigentlich gar nichts, aber ich habe heute Nacht Euren Schrecken und Eure Angst gespürt. Ich wollte Euch beruhigen und Euch erklären, was Ihr gesehen habt.“ Tyal ließ langsam die Hände sinken. „Wer oder was seid Ihr dass Ihr hier mitten in der Nacht auftaucht um mich wie ein kleines Kind zu behandeln?“ Seine Stimme troff vor Hohn. Was tat er hier eigentlich? Die Gestalt hob den Kopf. Tyal zuckte zusammen, als er sich von einem Paar schwarzer Augen gemustert sah, die im Kerzenlicht silbern wie Mondlicht waren, Augen, die einer jungen, überirdisch schönen Frau gehörten. „Wer ich bin ist im Augenblick nicht wichtig. Wichtig ist nur, dass Ihr wisst wer Ihr seid, Tyal von Siihr. Ich bin hier, um Euch zu helfen, Eure Feinde zu erkennen und Euch an Eure Rolle im Bühnenstück dieser Welt zu erinnern.“ Der junge Hauptmann lehnt sich nach vorne, stützte die Unterarme auf die Knie und musterte sein Gegenüber. „Ich bin mir vollkommen sicher dass ich weiß wer ich bin. Ich bin Hauptmann der siihrischen Garde, ein Soldat im Dienste meines Königs. Ich spiele nicht die geringste Rolle, ich bin auswechselbar, entbehrlich, wenn man es ganz extrem ausdrücken will.“ Die junge Frau lachte nur trocken, ja, Tyal hatte sogar das Gefühl, dass es ein spöttisches Lachen war. Sie ahmte seine Körperhaltung aufs Genauste nach, plötzlich waren ihre Gesichter nur noch eine Handspanne von einander entfernt. „So sicher? Tatsächlich? Soll ich Euch etwas verraten, Hauptmann Tyal? Ich weiß genau wer Ihr seid. Ihr seid die Waage zwischen Tag und Nacht. Eines Tages wird Eurer Herz über das Schicksal der Welt entscheiden.“ Die Kerzen auf dem Kartentisch flackerten in einem unsichtbaren Wind. Tyal, von dieser Merkwürdigkeit abgelenkt, wandte den Blick von seiner Besucherin ab und sah in Richtung des Tisches. Als er den Blick wieder dem Schemel zuwandte war die junge Frau spurlos verschwunden. Irritiert sah er sich im Zelt um. Sein Blick blieb an einem glänzenden Gegenstand hängen der auf dem Kartentisch lag. Es war ein Spiegel, aus Silber gehauen und mit Einlegearbeiten aus Perlmutt. Zögernd nahm er ihn in die Hand. Seine Oberfläche war mattschwarz, wie der Himmel in einer stürmischen Nacht. Plötzlich flackerte die Oberfläche und eine Nachricht, in einer zierlichen Handschrift verfasst, tauchte aus der Tiefe aus.
„Nehmt den westlichen Weg.“
Tyal stutzte. Er stand auf, trat an den Kartentisch und besah sich die Route des Trosses. In zwei Tagen würden sie die Gelan-Kreuzung erreichen, den Brennpunkt der heronischen Handelsrouten. Geplant war, dass die Truppe dort nach Süden abbog, um zur Küste und damit nach Siihr zu kommen - der direkteste und schnellste Weg. Jeder seiner Männer, und auch er selbst, wollte nach der langen Reise in die Fremde nach Hause. Und bei allen Göttern, er würde an seiner Entscheidung festhalten! Nichts und niemand, auch keine mitternächtliche, aus dem Nichts auftauchende Fremde, würde ihn von seinen Plänen abhalten. Er setzte sich auf den Rand seiner Pritsche, lehnt sich vorsichtig an die Zeltwand und verschränkte die Arme vor der Brust – er war völlig durcheinander. Die Waage zwischen Tag und Nacht? Das Schicksal der Welt? Welch ein Unfug! Er ließ sich auf seine Schlafstätte sinken und wühlte sich unter seine nach Pferd duftende Decke. Lange noch dachte er über den Besuch und die Worte der Fremden nach. Er schloss die Augen, doch erst als er die Wache die erste und dann auch noch die zweite Stunde nach Mitternacht hatte anrufen hören gelang es ihm einzuschlafen. Doch auch im Schlaf war ihm keine Ruhe vergönnt….. Er marschierte einen steilen Bergpfad hinauf. Um eine Biegung herum kommend erreichte er die Tore eines gewaltigen Schlosses, das sich gen Himmel reckte und in die Höhe kein Ende zu haben schien. Die Mauern waren aus schwarzem Stein, der sich, als Tyal ihn berührte, als kalter Marmor herausstellte, sorgfältig behauen und vollständig glatt geschliffen. Er überquerte langsam die Zugbrücke und den darunter liegenden, mit Brachwasser gefüllten, Graben. Im dunklen Wasser unter ihm, erahnbar aber doch unsichtbar, rührte sich etwas und schlug kleine Wellen ans Ufer. Als er die andere Seite des Grabens erreichte hielt er in seinem Schritt inne. Vor dem Tor saßen zwei gewaltige, beinahe kalbsgroße, schwarze Katzen. Zwei Paar gelbe Augen musterten ihn kalt aber die beiden Panther, Tyal kannte diese seltenen Tiere aus den Berichten der Handelskarawanen, ließen ihn ungehindert passieren. Die Torflügel glitten geräuschlos nach innen und er betrat eine Halle, die an Größe seine kühnsten Erwartungen übertraf. Die Decke spannte sich gut dreißig Schritt über ihm, ein Meer von Kerzen, zwischen den baumstarken Säulen angeordnet, spendete schwaches Licht. Am Ende der Halle befand sich eine halb geschlossene Tür, aus dem Spalt fiel Licht ins Halbdunkel der Halle. Der Bogengang, der zu dieser Tür führte, wurde von den Standbildern vergangener Könige gesäumt, jeder mit einem Schwert in der einen, und einer Kerze in der anderen Hand. Tyal wagte nicht den Blick zu heben, da ihn das Gefühl beschlich von den steinernen Augen gemustert zu werden, Ihm schien als blickten die Augen tief in seine Seele, offenbarten alle Geheimnisse, errieten alle Gedanken. Er fühlte sich klein, und mit gesenktem Haupt schritt er zwischen den Zeugen vergangener Zeiten in Richtung Tür. Als er selbige erreichte, schwang diese, eben so lautlos wie vorher die Torflügel, auf und gaben den Blick in einen runden Raum frei, dessen Mauern, treppenartig angelegt, von unzählbaren schwarz gefärbten Kerzen erhellt wurden. Der Tür gegenüber stand ein Thron, augenscheinlich aus einem Stück weißem Quarz geschlagen. Auf der Sitzfläche lag ein blutrotes Samtkissen und auf diesem ein gewaltiges, beinfarbenes Ei. Tyal trat näher und erkannte, dass die Schale durch einen Schatten, einen menschlich anmutenden Schemen von Innen her verdunkelt wurde. Dieser bewegte sich ruhelos, fast schien es als wolle er mit aller Macht sein Gefängnis sprengen. Wiederum trat er einen Schritt näher zum Thron und streckte die Hand aus. Zaghaft legt er die Fingerspitze auf die Schale. Das Ei war warm, pulsierte durch das Leben in seinem Inneren. Auf der fahlen Oberfläche zeichnete sich ein feiner Riss ab. Im gleichen Augenblick glaubte Tyal eine Stimme in seinem Kopf zu hören. „Hilf mir!“ Er trat nun ganz an das Ei heran, ballte die Hand zur Faust und hieb hart auf die blasse Schale ein. Dort, wo er traf, zersplitterte sie. Durch die entstandene Öffnung gewahrte er den Schatten, der sich nun scheinbar bemühte in seine Richtung zu gelangen. Rastlos vergrößerte er das Loch in der Schale, bis er der Meinung war, dass es dem Schatten nun gelingen würde, seinem Gefängnis zu entkommen. Tyal glaubte, unter der fahlen Schale und im Zwielicht der Kerzen weibliche Züge zu erkennen. Wieder erklang die Stimme in seinem Geiste. „Komm näher, Waage des Schicksals, Retter der Welt. Ich will dich stärken für die Schlacht.“ Er legte die Hände links und rechts neben die Öffnung und näherte sich dieser mit dem Gesicht. Schattenarme reckten sich ihm entgegen, umschlangen seinen Hals, fuhren ihm durch die Haare. Eiskalte Finger aus reiner Dunkelheit berührten sein Gesicht und ihm war es, als würde er brennen und gleichzeitig erfrieren. Greller Schmerz zuckte durch seine Körper, jeder Atemzug wurde ihm zur Qual. Schlagartig erlosch das Licht der Kerzen und Tyal versank in gnadenvoller Dunkelheit. Das Letzte was er noch wahrnahm war ein hämisches Lachen…..
„Hauptmann? Hauptmann Tyal? Bei allen Göttern…sagt etwas!“ Tyal schlug die Augen auf. Er lag auf dem Boden seines Zeltes, scheinbar war er von seiner Pritsche herab gefallen. Seine Uniform klebte ihm am Leib, er war nass geschwitzt. Langsam hob er den Kopf, was zur Folge hatte dass sich das Zelt anfing zu drehen und alles vor seinen Augen verschwamm. Als sich sein Blick wieder klärte erkannte er das besorgte Gesicht seines Bruders. Hinter diesem standen der Feldarzt und zwei weitere Soldaten. „Was….ist passiert? Was wollt ihr alle um diese nachtschlafende Zeit in meinem Zelt?“ Myral runzelte die Stirn, und beugte sich dann hinab um seinem Bruder beim Aufstehen zu helfen. „Du hast das halbe Lager zusammen gebrüllt, Tyal. Hattest du einen Alptraum?“ Der junge Hauptmann zog sich an der Pritsche in eine sitzende Haltung und wollte grade abwinken als ihn der Feldarzt am Arm packte. „Hauptmann, was ist mit Eurem Rücken passiert? Ihr…seht aus…als hättet Ihr Bekanntschaft mit einer Neunschwänzigen gemacht.“ Tyal fuhr keuchend auf und im gleichen Atemzug wieder vor Schmerz zusammen. Urplötzlich spürte er ein warmes Rinnsal zwischen den Schulterblättern. Er verrenkte sich den Hals, konnte aber nichts erkennen. Also langte er sich mit der Hand auf den Rücken. Sein Gesicht verlor sämtliche Farbe als er die tiefen Striemen ertastete, und seine Finger blutverschmiert waren als er sie sich besah. Mit einem erstickten Aufschrei sackte Tyal in sich zusammen, geistesgegenwärtig fasste ihn der Feldarzt unter den Armen und bugsierte den zitternden Jüngling bäuchlings auf seine Pritsche. Myral packte den Arzt an der Schulter und wirbelte ihn herum als dieser mit einem entsetzen Stöhnen und zitternden Händen von dem Lager des Verletzten zurück wich. „Was ist los, Mann? Rede!“ Der verstörte Heiler schob behutsam die zerrissene Uniformjacke über die zerfetzte Haut des Hauptmanns und deckte fünf tiefe, stark blutende Wunden, die wie Klauenspuren aussahen, auf. „Ich kann wohl die Blutung stoppen aber heilen…heilen kann ich ihn nicht. Die Wunden sind nicht natürlichen Ursprungs. Sie wurden…durch Magie zugefügt. Ich bin zwar ein Schüler des Lichts aber meine Kraft reicht bei weitem nicht aus um diese Wunden zu schließen.“ Tyal hob den Kopf und verrenkte sich den Hals um den Feldarzt anzusehen. „Und was kannst du jetzt tun?“ Der Arzt rang sichtlich mit sich und nur auf das Drängen der anderen Soldaten antwortete er. „Die Blutung stoppen und warten, Hauptmann…einfach warten.“
Kaljana
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Thema: Re: Leseprobe "Die Diener der Dunkelheit" Mo März 10, 2008 9:33 pm
3. Ein braun gesprenkelter Zaunkönig tanzte auf seiner Suche nach Futter zwischen den Bäume umher. Der Wind spielte mit seinen Federn, als er sich auf einem Ast nieder ließ und mit seinem Lied die Sonne begrüßte. Es war Hochsommer und der Lohrwald explodierte vor Leben. Die Luft war erfüllt von Myriaden unterschiedlicher Vogelstimmen, die Brunftschreie von Hirschen mischten sich mit den hohen Paarungsrufen der Wildkatzen. Überall spross Grün, gespickt mit allen erdenklichen Farbnuancen diverser Blumen. Der kleine Vogel schnappte nach einer vorbeisirrenden Mücke, schloss, während er sie verzehrte, fast genießerisch die Augen, plustere sich kurz auf und flog dann weiter. An einem kleinen Bachlauf stillte er seinen Durst und landete bald darauf wieder auf einem sonnigen Ast. Neugierig legte er den Kopf schief, beäugte die seltsame Szene, die sich unter ihm auf der Lichtung abspielte. Im Zentrum dieser natürlich entstandenen, kreisrunden Freifläche stand eine gewaltige Eiche. Der Zaunkönig kannte diesen alten Baum sehr gut, hatte er doch schon oft in seinem Ästen nach einer Partnerin gesucht und nach erfolgreicher Suche hier seine Nester verteidigt. Im Schatten der ausladenden Krone stand ein Mann, angetan in der weißen Robe eines Lossox-Druiden, am Gürtel eine silberne Sichel. Seine grauen Haare waren lang, vermischten sich auf seinen Schultern mit dem langen, weißen Bart. Über ihm, in den Ästen des Baumes, hing ein Junge, der mit seinen fünfzehn Jahren schon fast ein Mann war. Seine weizenfarbenen Haare hingen ihm als wirres Nest vom Kopf weg nach unten, seine grauen Augen schauten zweifelnd sowohl den alten Mann als auch den neugierigen Vogel an. Der Zaunkönig flatterte näher und ließ sich neben den Knöcheln des Jungen auf dem Ast nieder. „Aber wofür soll das gut sein, Meister Gerande? Ich kann wahrhaftig nicht den Sinn in dieser Übung entdecken.“ Die Stimme des Jungen klang weinerlich, was aber großteils am scheinbar endlos anhaltenden Stimmbruch lag. Sie versprach sanft und volltönend zugleich zu werden. Der alte Druide lächelte. Es sah aber auch wirklich etwas merkwürdig aus, wie sein Schüler da mit dem Kopf nach unten vom untersten Ast der Heiligen Eiche hing. Die Arme hinter dem Rücken verschränkt, und zwischen den Knien einen Krug Wein balancierend. Ein komplizierter Knoten band seine Fußknöchel und verhinderte, so an den Ast gefesselt, einen Absturz. „Es gibt einen Sinn, Dalek, und du wirst ihn erkennen wenn du in dich gehst und versuchst, deine Grenzen zu finden.“ Vollkommen verständnislos sah ihn sein baumelnder Lehrling an. „Kann ich das nicht auch am Boden machen? Im Sitzen? Das wäre einfacher. Und ich hätte weniger störende Gesellschaft.“ Dalek nahm die Arme vom Rücken und wies auf den Zaunkönig, der nun beleidigt ein paar Äste höher flatterte. Gerande runzelte missbilligend die Stirn und sah seinem Schützling fest in die Augen. „Natürlich wäre es einfacher. Aber der Weg ohne Mühsal ist der Weg ins Verderben, ohne Prüfung werden die Menschen leichtsinnig. Und grade wir, die wir mit der Gabe des Lichts gesegnet sind, müssen besonders vorsichtig sein und darauf achten, dass wir und unsere Kraft nicht der Finsternis anheim fallen. Merke dir meine Worte, Dalek, eines Tages werden sie dir vielleicht einmal das Leben retten. Und jetzt konzentrier dich!“ Der Junge seufzte ergeben, verschränkte wieder die Arme hinter dem Rücken und schloss die Augen. Sein Geist wanderte, segelte zu den Wolken hinauf und dort, irgendwo zwischen Himmel und Unendlichkeit traf er auf die bis dahin vermisste Strömung. Er atmete die Magie ein, sie durchtränkte jede seiner Zellen, füllte ihn ganz aus und gab ihm ein Gefühl der Unsterblichkeit. Minutenlang hing er regungslos von seinem Ast herab, atmete ruhig und regelmäßig. Dann, ganz plötzlich, verlor er den Kontakt, wie eine Wolke wurde der Magiestrom vom Wind zerstreut. Sein Gleitflug erreichte den Höhepunkt und ging urplötzlich und schlagartig in einen rasenden Fall über….sein Geist trudelte, raste der Erde entgegen. Dalek riss die Augen auf, zuckte zusammen und der Weinkrug entglitt dem Griff seiner Knie. Klirrend zerschellte das Gefäß auf den Wurzeln der Eiche und die rubinrote Flüssigkeit ergoss sich im hohen Bogen über Gerandes Gewand. Der Druide wich vom Baum zurück und sah vorwurfsvoll zu seinem blassen, zitternden Schüler hinauf. „Bei den Alten Göttern, Dalek! Wo bist du bloß mit deinen Gedanken? Was soll denn das?“ Er deutete anklagend auf seine ruinierte Robe. Der ehemals blütenweiße Stoff war weindurchtränkt. Gerande bedeutete Dalek herunter zu kommen. Der Junge hangelte sich in eine sitzende Position auf den Ast und bemühte sich den Knoten zu lösen. Fahrig und ungeduldig riss er an dem Hanfstrick. Nachdem es ihm auch nach mehreren Versuchen nicht gelang griff er zum Dolch. Doch Gerandes scharfe Rüge ließ ihn zusammen zucken. „Nein, Dalek! Nicht den einfachen Weg! Stell dich der Herausforderung! Ich weiß dass du es kannst…und du weißt es auch! Tu es!“ Der Junge sah seinen Meister zweifelnd an, zuckte dann aber die Schulter, schloss die Augen und legte beide Hände an den Knoten. Er wurde blass, Schweiß trat ihm auf die Stirn. Ein Zittern durchlief den Strick, dann begann er sich zu winden wie eine Schlange und gab schließlich Daleks Füße frei. Daraufhin ließ er sich mühsam keuchend von Ast gleiten. Als er den Boden erreichte gaben seine zitternden Knie unter ihm nach und er strauchelte neben Gerande ins Gras. Dieser reichte ihm einen Becher mit klarem Wasser. „Nicht schlecht, Dalek. Aber was hat dich so verstört?“ Die Augen des Jungen glänzten beinahe fiebrig und dann sprudelte er los. „Ich hatte einen Traum…oder eine Vision, Meister Gerande. Zumindest glaube ich, dass es so etwas war. Ich war in einem Raum, der nur durch das Licht zweier Fackeln erhellt wurde. Ich schien zu schweben, aber dann merkte ich dass ich einfach nur größer war als sonst. Ich war ein Hirsch…ein weißer Hirsch. Ein wunderschönes Tier mit ausladendem Geweih und klugen Augen. Ich machte einen Schritt in den Raum hinein und plötzlich stand ich auf einem Hügel mitten im Wald. Das Licht des Vollmondes tanzte auf meinem Fell und eine unglaubliche Macht brannte wie Feuer in meine Adern. Doch dann teilte sich das Unterholz und da waren diese riesigen, schwarzen Katzen…zwölf an der Zahl. Aber die dreizehnte, die als letzte aus dem Gebüsch trat…Meister, Ihr würdet nicht glauben wie riesig dieses Tier war. Sogar noch größer als die anderen zwölf! Vielleicht haltet Ihr mich für närrisch aber ich würde jeden Eid darauf ablegen dass die Augen dieser Katze nicht die eines Tieres waren. Sie waren gelb, schon wie bei den anderen, aber…..Sie waren anders…fast menschlich. Ich konnte beinahe sehen, was bzw. das diese Katze dachte! Dachte wie ich - wie ein Mensch. Und dann griff mich diese schwarze Riesin unvermittelt an! Aber ich konnte sie abwehren, ich schleuderte sie mit meinem Geweih den Hügel hinab und zu Boden. Aber sie ließ nicht locker, versuchte es noch mal. Wieder stürmte sie den Hügel hinauf aber ich konnte sie abermals abwehren. Jedoch als sie beim zweiten Mal auf dem Boden aufschlug verschwand sie urplötzlich.“ Gerande hatte seinen Schützling während seiner aufgeregten Rede aufmerksam beobachtet. Nun legte er Dalek die Hand auf die Schulter und schrieb mit der freien Hand ein komplexes Symbol in die Luft. Diese schimmerte kurz und vor den beiden Männern standen die von Dalek beschriebenen Tiere: der weiße Hirsch und die gewaltige schwarze Katze mit den gelben Augen. Der Junge schrak zurück, sein Blick zuckte von einer Erscheinung zur andern. „Keine Angst, mein Schüler. Diese Bilder können dir nichts anhaben, aber mit ihnen kann ich dir deine Visionen besser erklären.“ Der alte Druide trat zu dem Hirsch, legte ihm die Hand auf den Rücken und bedeutete Dalek mit einer Geste näher zukommen. Zögernd trat dieser zu seinem Lehrer. „Ich kenne diese Tiere und ich weiß den Zusammenhang mit deinen Visionen zu deuten. Auch ich habe diese beiden während meiner Ausbildung zum Druiden kennen gelernt und auch im Laufe der Jahre habe ich immer wieder mit ihnen und ihrer Symbolik zu tun gehabt. Die Katze ist ein Panther, eines von Baraghors Kindern der Nacht. Als Dienerkreatur des Dunkeln Gottes steht sie in den Ebenen der Visionen und der Träume für das Dunkle und das Böse. Der Hirsch ist, mit seinem weißen Fell und seiner aufrechten Gestalt, verständlicherweise das Symbol des Lichtes und Wappentier des Obersten Gottes. Kannst du dich von deinen Studien her noch an seinen Namen entsinnen, Dalek? Oder hast du ihn über das Eichhörnchenjagen schon wieder vergessen?“ Der junge Druide sah seinen Lehrer etwas verunsichert an, konnte aber in den dunklen Augen keinen Zorn sondern kaum verhohlenen, jedoch liebvoll gemeinten Spott erkennen. „Ähm…der Oberste Gott? Das war…..das war…..ich weiß genau, sein Name begann mit einem „S“. Der Oberste Gott heißt Swe…Svi…ah! Jetzt weiß ich es wieder! Sviritt! Der Oberste Gott ist Sviritt!“ Dalek strahlte seinen Meister an, sah aber seine Freude abrupt durch Gerandes missbilligendes Stirnrunzeln gedämpft. Der alte Mann schüttelte den Kopf. „Junge, du musst noch viel lernen. Wir Druiden leben von Wissen, wir sammeln es, geben es weiter, bewahren es. Es gibt für uns keine schriftlichen Aufzeichnungen, alles wird durch Berichte, Erzählungen, Geschichten und Überlieferungen vom Lehrer zum Schüler weitergegeben. Du kannst dir nicht einmal den Namen des wichtigsten der Götter merken! Trainiere dein Gedächtnis, Dalek. So etwas darf nicht noch einmal vorkommen.“ Betrete scharte der so Gerügte mit der Stiefelspitze in der weichen Walderde. Die Stimme seines Lehrers ließ ihn aufschauen. „So, kommen wir zu deiner Vision zurück. Wo und wann immer diese beiden Vertreter von Licht und Schatten aufeinander treffen, kommt es unweigerlich zum Kampf. So entstehen die Alpträume, die die Menschen oftmals heimsuchen aber auch die Visionen, mit denen wir uns täglich auseinander setzen müssen.“ Dalek sah seinen Meister fragend an. „Meint ihr damit dass ich da eben auf dem Baum eingeschlafen bin?“ Der Druide nickte stumm und schloss die Augen. Er streckte den Arm aus und zeichnete eine Ellipse in die Luft. Diese schimmerte kurz und dann schwebte vor den beiden ein Spiegel in der Luft. Die ovale Oberfläche hatte einen Durchmesser von etwa einem halben Meter, die Glaseinfassung bestand aus in verschiedene Blätterformen getriebenem Silber. Die Spiegelfläche war unstet, wie ein See über den der Wind streicht. Gerande legte den Kopf zur Seite und bedeutete Dalek näher zu treten. „Gib jetzt Acht. Was du nun siehst präge dir gut ein, es könnte sein dass von deinem Gedächtnis eines Tages dein, und das Leben anderer abhängt.“ Fasziniert beobachtete der junge Druidenschüler wie sein Lehrer mit einer befehlenden Geste auf den Spiegel wies und ein magisches Wort, dass Dalek aber noch nicht kannte, aussprach. Die Spiegelfläche geriet in Unruhe und wie in den Kristall eingegossen manifestierte sich ein Gesicht, umrahmt von einer schwarzen Kapuze. Vor bloßem Hass glühende Augen funkelten die Betrachter an und der Mund verzog sich zu einer Fratze als das Wesen im Spiegel mit kalter, rauer Stimme zu sprechen begann. „Gerande! Du hast lange gezögert seit dem du mich das letzte Mal gerufen hast. Was hielt dich ab? War unsere letzte Begegnung zu anstrengend für dich?“ Hämisch Lachen klang in Daleks Ohren als er neben seinen Lehrer trat. „Wer oder was ist das, Meister? Ein böser Geist?“ Der alte Druide wandte sich halb vom Spiegel ab und schüttelte den Kopf. „Nein, Dalek. Das ist einer von Baraghors Speicherleckern, ein Diener der Dunkelheit. Es gelang mir vor Jahren ihn zu besiegen und seine Essenz in diesen Spiegel zu bannen. Was du dort siehst ist kein Mensch sondern das Abbild einer Seele…einer ganz und gar dunklen, verdorbenen Seele.“ Das Gesicht im Spiegel kicherte böse. „Oh, Gerande, so schlimm bin ich dann doch wieder nicht. Aber du solltest dem Jungen wenn schon die ganze Wahrheit erzählen. Erzähl ihm von unserem Kampf und wie bzw. vielmehr mit wessen Opfer du mich besiegt hast!“ Das Gesicht des alten Mannes verzog sich zu einer Maske des Schmerzes. „Nein! Diese Sache ist lange her und gehört einem Teil der Vergangenheit an, den man besser ruhen lässt. Lass den Jungen aus dem Spiel, Gasgariat, er ist noch nicht so weit.“ Eine bleiche Hand erschien im Bild des Spiegels und bedeckte kurz den Mund des Seelengesichts. „Hoppla, hab ich da einen wunden Punkt getroffen, alter Mann? Aber ich finde den Junge hat die Wahrheit verdient. Entweder sagst du sie ihm oder ich werde es tun. Es könnte natürlich sein dass ich mich nicht mehr an alle Tatsachen erinnern kann und wir wollen die Geschichte bei einem so heiklen Thema nicht verfälschen, oder?“ In hilflosem Zorn schlug Gerande nach dem Spiegel und dieser verschwand. Zurück blieb das hämische Lachen Gasgariats, doch als auch dieses verklangen war, herrschte auf der Lichtung tödliche Stille. Der kleine Zaunkönig, der immer noch auf dem Eichenast saß, zitterte wie in einem Wintersturm, angstvoll piepsend sah er zu den beiden Menschen hinunter. Dalek brachte seinem Lehrer einen Becher Wasser und führte ihn zu einem der Sitzsteine. Er wollte grade etwas sagen, als der Druide mahnend die Hand hob und ihm zu schweigen gebot. „Ich werde dir eines Tages die von Gasgariat angesprochene Geschichte erzählen, Dalek. Aber nicht heute. Für heute ist der Unterricht beendet. Bitte lass mich nun alleine, ich muss mich ausruhen.“ Gerande erhob sich und schritt auf den Waldrand zu. Dalek sprang ihm nach und vertrat ihm den Weg. „Bitte, Meister, erzählt mir mehr von den schwarzen Magiern und von den Dienern der Dunkelheit. Ich muss doch alles über meine Feinde wissen und…“ Eine schallende Ohrfeige ließ Dalek mitten im Satz abbrechen. Der alte Mann funkelte ihn vor Zorn bebend an. „Hoffe und bete, dass du nie solch ein Geschöpf wie Gasgariat es ist zum Feind gewinnst! Sei nicht so naiv und mache den Fehler zu glauben, du wärst einer von Baraghors Kreaturen jetzt schon gewachsen. Auch ich dachte während meiner Ausbildung, ich wäre gut genug mich einem Diener der Dunkelheit zu stellen…und nur weil sich mein bester Freund zwischen den Zauber der Schwarzmagiers und mich warf bin ich heut noch am Leben! So, ich hoffe du bist jetzt zufrieden! Ich erwarte dich also morgen früh…und präge dir die Namen der Götter ein, ich werde dich prüfen.“
Mit diesen Worten machte Gerande einen Schritt an Dalek vorbei und schritt den Pfad zur Siedlung hinunter. Der junge Druidenschüler ließ sich auf den verwitterten Sitzstein fallen. Was war er nur für ein Narr gewesen, seinen Lehrmeister so zu verärgern? Langsam stand er auf und suchte die Sachen zusammen, die am Fuß der Eiche lagen. Nachdem er sich das Seil um die Hüften geschlungen hatte machte er sich langsam auf den Weg zur Siedlung. Im Gehen murmelte er die Namen der Götter vor sich hin.
Der Zaunkönig, dem nun endlich wieder warm geworden war, blickte ihm aus kleinen, klugen Knopfaugen nach. Nachdem Dalek hinter einer Wegbiegung verschwunden war schüttelte sich der kleine Vogel kurz und öffnete dann den Schnabel, um der untergehenden Sonne ein Ständchen zu bringen.
Kaljana
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Thema: Re: Leseprobe "Die Diener der Dunkelheit" Mo März 10, 2008 9:33 pm
4. Durch die Wolken fiel blasses Mondlicht, verwandelte die am Wegrand stehenden Bäume in schwarze, drohende Schatten, und warf tanzende Lichtflecken auf den Weg und auf das Fell der Pferde. Tyal atmete tief die moosige Luft und spürte den kaltfeuchten Nachtwind auf der Haut. Während sein Pferd müde vorantrottete, immer wieder Steine anstieß und mit schweren Hufen über Äste stolperte, versank er mehr und mehr in der, ihn umgebenen, Dunkelheit und ließ seine Gedanken mit der Nacht treiben. „Da vorne ist die Gelan-Kreuzung, Hauptmann! Wir haben die Hälfte des Weges geschafft!“ Die freudig erregte Stimme durchbrach die Stille des Waldes und riss den träumenden Tyal aus seinen düsteren Gedanken. Er sah auf und konnte im Zwielicht die hölzernen Wegweiser erkennen. Auf der Kreuzung zügelte der junge Hauptmann sein Pferd und gab das Signal zum Halten. Sein jüngerer Bruder Myal, Feldwebel der Truppe und vor grade einem Monat zu Mann geworden, hielt neben ihm an. „Und nun, Tyal? Reiten wir nach Hause, nach Süden?“ Der aufgeweckte Rotschopf war der einzige der Truppe, der es wagte, den Hauptmann beim Namen zu nennen, auch wenn dieser es mit Vorschriften nicht so erst nahm und es in der Abteilung eher ungezwungen zuging. Tyal blickt in die vor Hoffnung leuchtenden Augen seines Bruders und dann zu den Wegweisern. Der linke wies nach Süden, zur Küste, und der rechte gen Westen, Richtung Mascandor. Mit leichten Schaudern erinnerte sich der junge Hauptmann an die nächtliche Warnung der seltsamen Fremden. Sie hatte ihm den westlichen Weg geraten, in Richtung des gewaltigen Waldgebietes mit den hundert Königreichen. Unwillig schüttelte er den Kopf. Er hatte den Befehl seines Königs sofort nach erfülltem Auftrag nach Hause zurück zu kehren und es müsste schon mit allen Dämonen der Unterwelt zugehen wenn er jemals einen Befehl missachten würde. Wütend hieb er auf das Sattelhorn. Er würde sich nicht von einer Wildfremden, von der er sich immer noch nicht sicher war, ob sie nicht ein Traum gewesen war, von seinen Plänen abbringen. „Tyal?“ Sein Bruder berührte ihn an der Schulter, beängstigt von der Tatsache dass er nicht geantwortet und ins Nichts gestarrt hatte. Tyal zuckte zusammen und unterdrückte einen Fluch, als ihn die Wunden auf seinem Rücken zurück in die Gegenwart holten. Er packte die Zügel fester und wandte den Kopf seines Pferdes nach Süden. „Bei Baraghors Zähnen, wir reiten nach Süden! Gebt euren Tieren die Sporen! In zwei Tagen sitzen wir alle an der Tafel des Königs!“ Jubelnd spornten die Soldaten ihre Pferde an und folgten Tyal. Zwar scheuten sich die Tiere im Dunkeln mit voller Geschwindigkeit zu galoppieren, aber es schien fast als würde sich das Heimweh und die Vorfreude auf sie übertragen. Und so preschte der Tross über die nächtliche Straße. Tyal saß mit grimmigem Gesicht im Sattel und versuchte seinen schmerzenden Rücken so gut es ging zu ignorieren. Die Soldaten ritten die Nacht hindurch bis sie in der ersten Morgendämmerung einen etwa acht Meter breiten, mit einer Steinbrücke überspannten Fluss erreichten. Er führte zu dieser Jahreszeit, es war Mitte Tathis, verhältnismäßig viel Wasser. Im Zwielicht des Tages dümpelten mehrere große Baumstämme in Ufernähe, von denen Tyal annahm dass sie auf dem Weg zu einem Sägewerk irgendwo hängen geblieben waren. „Lasst die Tiere trinken dann geht es weiter. Gegessen wird im Sattel.“ Myral stieg als erster ab und führte sein Pferd zum flachen Ufersteifen. Die Zügel in der rechten Hand, wandte er sich zu seinem Bruder um, er schien etwas sagen zu wollen. Schon öffnete er die Lippen da wurde er vom panischen Aufschrei seines Pferdes unterbrochen. Wütend fauchend schossen zwei der vermeintlichen Baumstämme aus dem Wasser und dem Pferd an die Kehle. Tyals Bruder sprang zurück und griff nach seinem Schwert als ein dritter Stamm aus dem Wasser fuhr und sich vor ihm in die Luft erhob. „Khaatams! Bei allen Göttern, weg von Wasser! Myral, zurück!“ Der junge Mann warf sich herum und versuchte zur Truppe zurückzukehren, doch die fliegende Schlange, schwarzgrau geschuppt und so lang wie ein aufrecht stehender, erwachsender Mann, schoss nach vorne und verbiss sich in Myrals Nacken. Schreiend ging er zu Boden. Immer mehr der Flugschlangen tauchten aus dem Fluss auf, dessen Wasser vom Todeskampf des Pferdes zu brodeln schien. Panik brach unter den Soldaten aus, nur mühsam gelang es ihnen, die Pferde unter Kontrolle zu halten und sich gleichzeitig gegen die angreifenden Reptilien zu verteidigen. Drohendes Fauchen erfüllte die Luft, ein Schrei durchschnitt die Luft als einer der Soldaten von zwei der Schlangen ins Wasser gezogen wurde. „Ihr Biss ist giftig!“ schoss es Tyal durch den Kopf. Verzweifelt wehrte er die zuschnappen Kiefer eines Khaatams mit dem Schwert ab, und versuchte gleichzeitig nach seinem Bruder zu sehen. Myrals Schreie waren mittlerweile verstummt. Wieder wehrte er die Schlange ab, verletzte das Reptil aber kaum. Zum ersten leisteten die Schuppen diesen Biestern einen fast rüstungsgleichen Schutz und zum anderen waren sie fast bis zum Kopfansatz mit einer Schlammschicht überzogen, an der die Schwerter wirkungslos abglitten. Neben ihm brach ein Pferd zusammen und begrub seinen Reiter unter sich. Drei Khaatams hatten sich in Hals und Rumpf des Tieres verbissen, ließen sich auch nicht von den scharfen, eisenbewehrten Hufen des um sich tretenden Tieres beirren. „Rückzug! Alle Mann zurück in den Wald. Schüttelt die Biester zwischen den Bäumen ab!“ Tyal riss sein Pferd herum und schlug mit der flachen Klinge nach dem Kopf einer Khaatam. Er traf und die Schlange fiel benommen zu Boden. Er gab seinem Pferd die Sporen und hielt auf den Wald zu. Äste peitschten ihm ins Gesicht und rissen an seinen Haaren, als er durch das Unterholz brach und er zwischen den Bäumen hindurch raste. Er schrie auf als er mit der Schulter gegen einen Baum prallte und in den Wunden auf seinem Rücken ein wahres Inferno des Schmerzes ausbrach. Benommen hing er über dem Hals seines Pferdes. Erst eine gute Meile vom Fluss entfernt, auf einer Lichtung, blieb das völlig verstörte und ausgepumpte Pferd stehen. Tyal fiel mehr aus dem Sattel als das er abstieg und als er sich von seinem Tier abwandte teilte sich das Gehölz, nach und nach kamen zwölf weitere Soldaten und der Heiler auf die Lichtung. Alle waren mehr oder weniger verletzt, der zweite Leutnant blutete im Gesicht, die Wunde verursacht von einem peitschenden Ast. Fünf Atemzüge später trat ein letztes Pferd auf die Lichtung, sein Reiter blutend und schwer verletzt. Tyal fing ihn auf als er kraftlos aus dem Sattel glitt. Als er den Mann sanft auf den Boden legte war dieser schon tot. „Wer kann sattelt ab und versorgt sein Pferd. Dann ruht euch aus.“ Kurze Zeit später grasten die Pferde scheinbar schon vergessend was vor knapp einer Stunde gesehen war. Die Soldaten fielen wo sie standen zu Boden und schliefen beinahe sofort ein. Nur drei entfachten ein Feuer, setzten sich zusammen und ließen einen Weinschlauch kreisen. Tyal ging zwischen den Männern umher, berührte hier und dort eine Schulter, sprach ein freundliches Wort. Der Heiler, fast unverletzt, versorgte die Männer und trat auch zu dem jungen Hauptmann. „Ihr solltet euch ebenfalls ausruhen, Hauptmann. Mein Zauber verhindert zwar ein erneutes Aufbrechen Eurer Wunden aber der Kampf gegen diese verfluchten Flugschlangen ist nicht spurlos an Euch vorüber gegangen. Hier, nehmt Wein und ein Mittel gegen das Schlangengift.“ Er reichte Tyal einen Becher und drückte ihm eine kleine, rötliche Kugel in die Hand. Dann ging er wieder zu den Verletzten, ließ Tyal mit sich und seinen Gedanken allein. „Wie kann ich mich jetzt ausruhen…“ murmelte er, mit niemandem Bestimmten redend. „Myral ist tot. Und mit ihm sechzehn gute Männer. Ich habe versagt…“ Ihm versagte die Stimme, den Becher umklammernd ließ er sich in Gras sinken, spülte das bittere Gegenmittel mit einem Schluck Wein herunter und schloss die Augen.
Vor seinem inneren Auge sah er sich und seinen Bruder, grade den Kinderschuhen entwachsen, durch die Gänge des väterlichen Schlosses stürmen und sich gegenseitig die Schuld zuweisend, wenn sie bei ihren Jungenstreichen erwischt wurden. Myral, wie er grinsend auf ein grade eingebrochenes Pferd stieg und Tyal, wie er sich vor Lachen bog, als sein jüngerer Boden auf dem Hosenboden landete. Die Vorträge des verzweifelten Gelehrten, der sich größtenteils erfolglos bemühte den Jungen etwas beizubringen. Tyal schluckte schwer als er an das Gesicht seiner Mutter dachte, wenn sie von Myrals Tod erfahren würde. Düster starrte er vor sich in, kratzte mit dem Finger Muster in den Waldboden als er plötzlich ein Geräusch in einer Baumkrone über sich hörte. Er sah auf und hielt den Atem an. Zwischen den Blättern funkelte ein Paar gelbe Augen zu ihm herab. Unendlich langsam stand er auf und machte den Männern am Feuer ein Zeichen. Einer der Soldaten stand auf und trat, mit einem Bogen in der Hand, neben seinen Hauptmann. Langsam hob der Mann den Bogen und zielte auf den zwischen den Blättern verborgenen Köper. Die gelben Augen verschwanden urplötzlich. „Hättet Ihr wohl die Güte Eurem Mann zu sagen er solle aufhören auf mich zu zielen?“ Der Soldat zuckte zusammen und sah verwirrt zu Tyal. Diesem kam die Stimme unangenehm bekannt vor und er gab dem Bogenschützen ein Zeichen. Dieser senkte seine Waffe und ging zurück zum Feuer. Tyal sah zu der verborgenen Person hinauf. „Was wollt Ihr heute von mir? Ihr seit ohne Drache, als wollt Ihr Euch nicht entschuldigen.“ Aus den Blättern kam keine Antwort. Stattdessen stand urplötzlich die junge Frau, die Tyal schon aus seinem Zelt kannte, am Fuß des Baumes. Sie trug wie schon im Zelt eine schwarze Kapuzenrobe, müßig lehnte sie sich mit vor der Brust verschränkten Armen an den mächtigen Stamm. „Ich frage euch noch mal: Was wollt Ihr von mir?“ Die junge Frau hob den Kopf und lächelte ihn spöttisch an. Jedoch erreichte dieses Lächeln nicht ihre schwarzen Augen, diese glitten kalt funkelnd über das provisorische Lager und die verletzten Soldaten. „Habt Ihr meine Worte vergessen oder ignoriert, Hauptmann? Wie auch immer. Ich sehe dass sich Eure Zahl verringert hat. Ihr habt Glück gehabt, Ihr und die Handvoll Männer, aber ich habe Euch gewarnt. Hättet Ihr auf mich gehört, wären Eurer Bruder und die anderen Soldaten noch am Leben.“ Zorn wallte in Tyal auf und er schleuderte seinen Becher so fest auf den Boden dass dieser einmal aufsprang und beim zweiten Aufkommen zerbrach. Die junge Frau zog fragend eine Braue hoch als der Hauptmann seiner Wut freien Lauf ließ. „Ihr taucht aus dem Nichts und mitten in der Nacht in meinem Zelt auf, macht mich durch Eure Zaubertricks vor meinen Männern zum Narren, verschwindet von der einen auf die andere Sekunde und erwartet dann allen Ernstes dass ich Euren Worten blind vertraue?!“ Die junge Frau stieß sich mit einem leisen Lachen vom Baum ab und ging zwei Schritte auf Tyal zu. Sie breitete in einer fragenden Geste die Arme aus und zuckte die Schultern. „Warum nicht?“ Tyal starrte sie fassungslos an. Hatte er sich verhört? Verspottete sie ihn grade? Seine Hand glitt zum Schwert. „Wie könnt Ihr es wagen…?“ Drohend machte er einen Schritt auf die Frau zu und zog sein Schwert halb aus der Scheide. Diese hob in einer kurzen Geste die Hand und urplötzlich konnte sich Tyal nicht mehr bewegen. Er wollte nach seinen Männern rufen doch als er sich Hilfe suchend umsah musste er erkennen dass alle Soldaten tief und fest schliefen. Auch fiel ihm auf, dass es urplötzlich und vollständig still geworden war. Kein Ast knackte, kein Nachtvogel sang, selbst der Wind hatte sich gelegt. Die junge Frau machte noch einen Schritt auf Tyal zu und sah ihm fest in die Augen.
„Ihr solltet Euch gut überleben ob Ihr es noch einmal wagt eine Waffe auf mich zu richten oder gegen mich zu ziehen, Hauptmann Tyal. Ich bin hier, weil ich Euch eigentlich ein Angebot machen wollte. Doch so wie Ihr Euch benehmt bin ich versucht einfach zu gehen und Euch die Möglichkeit, Euren Bruder und Eure Männer zu erretten, zu nehmen. Nun, nehmt Ihr Vernunft an und wir reden?“ Es kostete Tyal unendlich viel Anstrengung zu nicken. Myral retten? Was meinte die Fremde damit? Sie machte eine Geste und Tyals Schwertarm fiel herab, er konnte sich wieder bewegen. „Wie soll ich Eure Worte deuten? Meinen Bruder erretten? Er und die Männer sind tot…und nicht einmal die Götter können diese Tatsache ändern.“ Die junge Frau legte den Kopf schief und lächelte ihn an, diesmal sogar mit ein bisschen Gefühl in der Miene. „Nur die Götter? Nun, wir werden sehen. Weckt Eure Leute und sattelt die Pferde. Ich werde Euch zu Euren Kameraden bringen.“ Völlig verstört steckte Tyal sein Schwert weg und ging zum Lagerfeuer hinüber. Als erstes weckte er den Heiler, dann mit ihm zusammen nach und nach die anderen Soldaten. Diese schauten ihren Vorgesetzen verwirrt an, standen dann aber je nach Verletzung schnell oder langsam auf. Tyal schaute sich zwischenzeitlich nach der Fremden um. Diese stand stillschweigend an den Baum gelehnt und beobachtete die schweigenden Aufbruchsarbeiten. Ihre schwarzen Augen wanderten von einem Mann zum andern und schlussendlich blieb ihr Blick auf dem Heiler ruhen. Tyal sah sie die Stirn runzeln und kurz die Augen schließen. Einen Lidschlag später öffnete sie die Augen wieder und machte eine Geste mit der Hand. Ein kurzes Flimmern umgab sie, dann stieß sie sich vom Baum ab und trat auf die Soldaten zu. Tyal tippte dem Heiler auf die Schulter und deutete auf die heran nahende Frau. Der Mann sah erst ihn und dann die Frau fragend an, zuckte die Schultern und wandte sich wieder seinen Satteltaschen zu. Insofern beruhigt trat Tyal der Fremden entgegen. „Wir können nun aufbrechen. Auch wenn ich noch nicht weiß wohin Ihr wollt.“ Die junge Frau hob die Hand und kraulte einem der Pferde die Nase. „Steigt auf und vertraut mir. Ich bringe Euch zu jemandem, der Euch helfen wird.“ Die Soldaten sahen ihren Hauptmann fragend an, stiegen aber auf sein Zeichen hin in den Sattel. Als auch er aufgestiegen war breitete die Fremde in der Mitte der Lichtung die Arme aus und begann, in einer den Männern unbekannten Sprache, etwas zu murmeln. Eine Kugel aus blauem Licht entstand in ihren Händen, wurde immer größer und hüllte schließlich die gesamte Reitertruppe mit ihr in der Mitte ein.
Als das Licht erlosch, war die Lichtung verlassen. Nach und nach, so als wollten sie sich erst vergewissern dass es nun wieder gestattet sei, nahmen die Kreaturen des Waldes ihre nächtlichen Gesänge wieder auf.
Und auch der Wind strich wieder durch die Zweige.
Kaljana
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Thema: Re: Leseprobe "Die Diener der Dunkelheit" Mo März 10, 2008 9:33 pm
5. Jäh fuhr Dalek aus dem Schaf auf. Immer wieder der gleiche, verwirrende Traum, jede Nacht seit einer Woche. Bisher hatte er Meister Gerande gegenüber geschwiegen, doch nun hielt er es nicht mehr länger aus. Er warf seine Decke ab und stieg aus dem Bett in seine von der nächtlichen Kühle klammen Kleider. Vor der Hütte flackerte ein Feuer, sein Schein fiel durch den Türvorhang und ließ Dalek seine Umgebung beinahe klar wie am Tag erkennen. Der alte Druide war also noch wach. Dies wunderte den Jungen denn es war gewiss schon spät. Dalek vernahm die Stimme seines Lehrers, er schien sich mit jemandem zu unterhalten. „Meister Gerande?“ Dalek schritt aus der Hütte hinaus in die helle Nacht. Der Mond würde in ein oder zwei Tagen voll sein. Der Junge rügte sich gedanklich über seine Vergesslichkeit. Eigentlich kannte er den Mondzyklus mittlerweile genau aber er konnte sich die vielen Wege, Formen, Symbole und Bedeutungen des Mondes einfach nicht merken. Der alte Druide wandte sich von seinem Gesprächspartner ab und seinem Schüler zu. „Oh, Dalek. Haben wir dich geweckt? Das lag nicht in unserer Absicht.“ Seinem Lehrmeister gegenüber saß ein Mann mittleren Alters, gekleidet in Waldläuferkleidung, neben sich an den Baumstamm einen Streithammer gelehnt. Der Blick des Mannes traf sich mit Daleks und unvermittelt durchfuhr ihn eine Welle wohliger Wärme, es schien ihm fast als würde der Fremde leuchten, soviel Macht ging von ihm aus. „Dalek?“ Nur mit Mühe gelang es ihm sich aus dem Blick des Besuchers zu lösen und sich seinem Lehrer zuzuwenden. „Nein, Meister Gerande. Nicht Ihr und Eurer Gast habt mich geweckt sondern ein Traum hat mich aus dem Bett getrieben. Ich würde gerne mit Euch darüber reden aber wenn ich störe…“ Er wandte sich wieder der Hütte zu. „Warte, mein Junge.“ Die Stimme gehörte Gerandes Gast, war volltönend und freundlich, und sie drang so tief in Daleks Seele dass er sein innerstes Selbst offenbart aber nicht verletzt fühlte. Der Fremde sah ihn an und Dalek wusste dass er vor diesem Mann keinerlei Geheimnisse haben konnte. „Erzähle uns von deinem Traum. Das ist bestimmt interessanter als über Wurzeln, Kräuter und Sternbilder zu philosophieren, so wie wir alten Männer es immer wieder viel zu oft und viel zu lange tun.“ Dalek schluckte, folgte aber der einladenden Handbewegung des Mannes und ließ sich auf der den Männern gegenüber stehenden Bank nieder. Verlegen knetete er seine Finger aber nach einem auffordernden Nicken seines Meisters begann er zu erzählen. „Ich bin wieder der weiße Hirsch und wandere durch einen Wald voller alter, mächtiger Baumriesen. Ich trete auf eine Lichtung und vor mir sehe ich ein großes Lagerfeuer. Ein Kreis aus vierundzwanzig Steinen, grade groß genug um darauf zu sitzen, ist um das Feuer angeordnet. Auf jedem zweiten Stein sitz ein Mann in einer weißen Robe, ähnlich der wie Ihr eine tragt, Meister Gerande. Aus der Dunkelheit treten nun zwölf Frauen in schwarzen Kapuzenroben und setzen sich, einer einladenden Geste der Männer folgend, auf die freien Steine. Alle nehmen sich an den Händen und beginnen in einer seltsamen Sprache zu singen. Das Feuer lodert auf und aus den Flammen tritt eine dreizehnte Frau. Sie trägt schwarze Waldläuferkleidung, ein Schwert aus schwarzem Metall an der Seite und einen silbernen Anhänger in Drachenform um den Hals. Sie dreht sich einmal um die eigene Achse und sieht jede Person im Kreis an. Manche weichen ihrem blick aus, andere nicken ihr scheinbar grüßend zu. Einer der Männer deutet auf etwas hinter der Frau, sie dreht sich um und sieht mich direkt an. Ihre Augen sind sehr dunkel, beinahe schwarz, glaube ich, auf jeden Fall spiegelt sich das Licht überhaupt nicht in ihnen. Ich mache einen Schritt rückwärts und sie lächelt spöttisch. Sie tritt aus den Flammen heraus und im selben Augenblick, als ihre Stiefel den Waldboden berühren verwandelt sie sich in einen von diesen riesigen, schwarzen Panthern. Es ist ganz sicher die gleiche Katze wie aus meiner ersten Vision. Sie setzt zum Sprung an und im selben Moment, als sich ihre Zähne in meine Kehle bohren, wache ich auf.“ Dalek leckte sich über die Lippen und griff nach dem Wasserkrug. Das Erzählen hatte seinen Mund ganz trocken gemacht. Fragend sah er seinen Lehrer über den Rand des Kruges hinweg an. Dieser tauschte einen Blick mit seinem Gast und wandte sich dann dem Jungen zu. „Nun. Wahrlich seltsam, dein Traum. Aber bevor ich dir seine Bedeutung erläutere möchte ich dir unseren gast vorstellen. Dalek, dies hier ist Sviritt.“ Der junge Druidenschüler glaubte seinen Ohren nicht zu trauen und verschluckte sich. Prustend versuchte er Luft zu holen und ließ dann entgeistert den Krug sinken. „Aber….aber…das…würde….das kann doch nicht…..der Oberste…der Urvater….“ Dalek sprang auf und verhedderte sich dabei in seiner Robe. Er strauchelte über die Bank und landete auf dem Hosenboden. Klirrend zerbrach der Krug. Der Waldläufer stand lachend auf und half dem verwirrte Jungen auf die Füße. Mit einem belustigten Funkeln in den Augen wandte er sich Meister Gerande zu. „Nun sieh, was du angerichtet hast, Weißfuchs. Du hast den armen Jungen völlig überrumpelt. Musstest du ihn so überfallen?“ Der alte Druide stimmte in das Lachen des Mannes ein, verstummte dann aber als er erkannte dass ihre Heiterkeit Dalek ob seiner Tollpatschigkeit erröten ließ. „Ich habe ihm so viel und so oft von Dir erzählt, Wolf. Ich dachte er wäre bereit und würde es verkraften.“ Der Gott in Menschengestalt sah Dalek tief in die Augen, legte ihm die Hand auf die Schulter und bedeutete ihm, sich wieder auf die Bank zu setzen. „Mit diesem hier hast du eine weise Wahl getroffen, Gerande. Der Junge hat großes Potential und viel Macht in sich. Wenn er nun noch Ausdauer und Geduld beweißt, wird ein guter Druide und ein wackerer Streiter des Lichts aus ihm.“ Gerande verschränkte mit empörter Miene die Arme vor der Brust. „Nun hör aber auf, Wolf! Alle meine gewählten Schüler sind gute Druiden geworden….“ Er verstummte plötzlich und starrte nachdenklich ins Feuer. Dalek hatte sich wieder auf die Bank gesetzt und einigermaßen gefasst. Aber warum sprachen die beiden sich mit Tiernamen an? Er wollte Sviritt grade darauf ansprechen als ihm dieser, wie als hätte er die Gedanken des Jungen gelesen, zuvor kam. „Diese Frage wird dir dein Meister wohl eines Tages beantworten, aber hier, jetzt in diesem Augenblick wirst du keine Antwort erwarten können. Was betrübt dich, alter Freund?“ Sviritt ließ sich neben dem alten Mann auf die Bank sinken und sah ihn an. Gerande seufzte und rieb sich die Augen, er erschien Dalek plötzlich sehr müde und uralt. Seine Stimme war beinahe nur ein Flüstern. „Alle bis auf eine. Bei einer habe ich versagt.“ Sviritt schien kurz nachzudenken, dann nickte er. Dalek hob fragend eine Augenbraue und als Meister Gerande darauf aufmerksam wurde erzählte er weiter. Aber er sprach zu dem Gott neben sich und nicht zu dem neugierigen Jungen. „Du magst dich vielleicht noch an sie erinnern, alter Freund. Vor fünfzig Sonnenwenden war es, kurz vor den ersten Drachenkriegen. Ich war erst ein paar Jahre Lehrer hier im Hain. Sie war ein ruhiges, wissbegieriges Mädchen, beinahe verschlossen. Sie hatte großes Potential und hätte viel erreichen können…wäre sie nicht durch Baraghors Einflüsterungen verdorben worden wäre. Plötzlich reichte es ihr nicht mehr nur zu lernen, sie wollte ihre Macht benutzen und der dunkle Gott gab ihr die Möglichkeit dazu. Als sie einen anderen Schüler im Training schwer verletzte musste ich sie fortschicken. Sie hat es nicht verstanden, sich ungerecht behandelt gefühlt und sich voller Hass für Baraghor entschieden. Ich habe damals das Schlimmste befürchtet. Und nun sehe ich meine Befürchtungen durch Daleks Visionen bestätigt. Rago ist zu einer Gefahr für alle Wesen des Lichts geworden.“ Der Erste Gott erhob sich, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und begann, am Feuer auf und ab zu gehen. „Manchmal bereue ich es, solch einen entarteten Sohn auf die Welt losgelassen zu haben. Aber ohne Baraghor hätte es kein Gleichgewicht der Mächte gegeben. Aber du hast recht, Weißfuchs, ich erinnere mich an Rago. Sie war sehr still aber auf ihre Art etwas Besonderes. Mittlerweile hat sie sich sehr verändert. Ich sah sie wieder als ich meinem Sohn auf seiner Burg einen Besuch abstattete. Sie ist gewachsen, strahlte eine fast greifbare Kälte aus und erschien mir Baraghor fast ebenbürtig zu sein. Außerdem hat sie nun einen ganz außergewöhnlichen Begleiter. Sag, Gerande, erinnerst du dich an Markor?“ Der alte Druide sah auf und seine Augen leuchteten. Er sprang auf. „Natürlich! Schließlich waren die Lossox-Druiden mit der Aufzucht seiner Jungen betraut und er kam sie regelmäßig besuchen bis sie zu groß für den Hain wurden und mit ihm fort geflogen sind. Ein herrlicher Drache. Warum erwähnst du ihn, Wolf?“ Sviritt rieb sich den Nacken, er wirkte ein wenig verlegen. „Es wird dir wahrscheinlich nicht gefallen, Weißfuchs, aber auch Markor hat sich Baraghor angeschlossen. Er und Rago sind Seelengeschwister geworden, er fliegt mit ihr und beide führen die Befehle des Dunklen aus. Zusammen haben sie schon etliche menschliche Siedlungen im Namen des Herrn des Bösen zerstört.“ Meister Gerande wurde blass und schwankte. Dalek sprang herbei und half seinem Lehrer, sich wieder hinzusetzen. Er erntete ein schwaches aber dankbares Nicken. „Also sind die Gerüchte wahr…oh, was habe ich nur getan? Ich hätte so viele Menschen vor dem Tod bewahren können!“ Er vergrub das Gesicht in den Händen. Dalek sah zu Sviritt hinauf. Dieser erwiderte seinen Blick ruhig. „Beschreib mir das Gesicht der Frau, Junge. Die aus deinem Traum, meine ich.“ Der Junge dachte kurz nach. Es schien ihm fast als wolle das Bild der Frau aus seinen Gedanken entschlüpfen. „Nun, besonders auffällig waren, wie schon erwähnt, ihre Augen. Entweder waren sie sehr dunkel oder aber….wenn ich es genau überdenke….es war nichts Weißes in ihnen. Die Iris und der Rest des Auges…beides war schwarz. Ihr Gesicht an sich war schmal, ihre Haut blass. Ihre Haare waren auch schwarz und geflochten, glaube ich. Sie mag wohl etwas so groß gewesen sein wie ich.“ Die beiden Männer sahen sich an, Sviritt ließ sich wieder auf die Bank sinken. „Eindeutig Rago. Gräme dich nicht, Weißfuchs. Du hättest damals nicht anders entscheiden können denn wie es geschehen ist war es vorherbestimmt. Ebenso wie es vorherbestimmt ist, dass es Menschen geben wird, die sich Rago und Baraghor widersetzen werden.“ Der Blick des Urvaters aller Götter kam auf Dalek zu ruhen. „Was?! Ihr meint doch nicht etwa mich? Meister….er meint doch nicht mich, oder?“ Der alte Druide tauschte einen Blick mit dem Gott. Als dieser nickte, erhob sich Gerande, trat zu Dalek und legte ihm beide Hände auf die Schultern. „Doch, mein Schüler, Sviritt spricht von dir. Aber noch bist du nicht soweit und noch droht keine unmittelbare Gefahr von Rago. Geh nun wieder zu Bett und grübele nicht länger über dein Schicksal. Lerne alles was ich dir beibringen kann und bete zu allen Göttern, dass der Tag, an welchem du dich Rago und Baraghor entgegenstellen musst, noch in weiter Ferne liegt.“ Gerande schob seinen Schüler sacht in Richtung der Hütte. Dalek war vollkommen durcheinander. Er machte zwei Schritte auf die Hütte zu, drehte sich dann aber noch mal mit fragend erhobener Hand zu seinem Meister um. „Aber…mein Traum…wie kann das alles sein?“ Er wollte noch mehr sagen aber Gerande schnitt ihm mit einer heftigen Geste das Wort ab. „Nein, Dalek. Ich werde jetzt und hier keine weiteren Fragen beantworten. Du siehst, ich habe einen Gast und es wäre unhöflich von mir, das von dir unterbrochene Gespräch nun nicht wieder aufzunehmen. Wir reden morgen. Gute Nacht.“ Dalek murmelt erschrocken eine Erwiderung und verneigte sich leicht vor Sviritt, der mit einem Nicken antwortete. Enttäuscht und verstört zog sich der Junge dann in das Halbdunkel der Hütte zurück. Meister Gerande schien nun tatsächlich von ihm zu erwarten dass er sich ins Bett legte und schlief. Aber wie sollte er nach dieser seltsamen Unterhaltung, noch dazu mit einem Gott als Gesprächspartner, Schlaf und Ruhe finden? Rago. Dalek rief sich ihr Gesicht noch einmal vor Augen. Er hatte dieser Frau noch kein einziges Mal wahrhaftig gegenüber gestanden und doch fürchtete er sie schon. Und Baraghor? Wie sollte er, ein einfacher Druide, einen Gott von irgendetwas abhalten, sich ihm gar widersetzen? Meister Gerande konnte das einfach nicht ernst meinen, es konnte – es durfte – einfach nicht stimmen! Dalek lugte durch einen Riss im Türvorhang. Sein Lehrer und Sviritt waren in ein Gespräch vertieft, grade machte Gerande eine abwehrende Handbewegung und schüttelte den Kopf. Worüber sie wohl sprachen? Wieder musste er an Rago denken. In seiner Vision war sie gleichermaßen faszinierend wie Furcht einflößend gewesen. Wahrlich, die Gestalt des Panthers passte zu ihr!
Dalek ließ sich auf die Bettkante sinken. Den Kopf in die Hände gestützt saß er im Dunkeln und dachte nach. Vielleicht konnte er ja der verhängnisvollen Begegnung mit Rago und Baraghor entgehen wenn er jetzt fortlief - kein Druide wurde. Vielleicht sah aber auch morgen, nach den Erklärungen Gerandes, alles weniger bedrohlich aus. Er stand wieder auf und schaute noch einmal nach draußen. Sviritt war fort und sein Meister saß, das Gesicht in die Hände gestützt und nachdenklich ins Feuer starrend, auf seiner Bank. Dalek unterdrückte den Drang zu ihm zu gehen und Fragen zu stellen, wusste er doch dass er sich damit nur den Zorn des alten Mannes zuziehen würde. Der junge Druide legte sich auf sein Bett und zwang seinen Geist, die verwirrenden Worte und die beunruhigenden Bilder der Nacht zu verdrängen. In der Hoffnung, von neuerlichen Alpträumen und Visionen verschont zu werden, schlief er ein.
Draußen am Feuer stand der alte Druide auf. Er hatte die Blicke seines Schülers sehr wohl bemerkt. Er rieb sich die müden Augen und sah dann zu den Sternen auf.
„Ihr Götter, gebt mir Kraft, damit ich bei Dalek nicht die gleichen Fehler mache wie bei Rago.“
Kaljana
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Thema: Re: Leseprobe "Die Diener der Dunkelheit" Mo März 10, 2008 9:35 pm
6. Die meisten Sterblichen, egal ob sie nun zum Volk der Menschen, Elfen oder Zwerge gehören, stellen sich das Totenreich bzw. die fünfte Ebene, wie die Heimat der Verstorbenen auf Heron genannt wurde, als ein düsteres, leeres und hoffnungsloses Existieren ohne Freude oder Licht vor. Wie überrascht wären sie wohl wenn sich ihnen hinter den gewaltigen silbernen Toren blühende Wiesen, glitzernde Bäche und lachende Seelen offenbaren würden. Sicherlich gab es auch einen Bereich in der fünften Ebene der all den allgemeinen Befürchtungen entsprach, doch hierher kamen nur die Seelen derer die sich zu Lebzeiten grausamster Verbrechen schuldig gemacht hatten. Im Zentrum der blühenden Wiesen, in einer Pagode aus weißem Marmor, residiert die Silbergöttin – Herrin des Totenreiches und Hüterin der Seelen. Nicht einmal die ältesten aller Historiker kennen ihren Namen, es wird aber gemeinhin angenommen dass sie nur noch einen einzigen anderen hat – Tod. Grausam sei sie, sagen die Menschen manchmal, doch ist sie lediglich konsequent. Bei der Geburt eines jeden Wesens auf Heron tauchte an den Wänden der Pagode eine Blütenknospe auf. Im Laufe des jeweiligen Lebens erblühte diese Knospe zu einer weißen Lilie, doch irgendwann verblühte sie auch - so denn ihr Besitzer nicht durch Unfall oder die Hand eines anderen frühzeitig verstarb. War die Blüte verwelkt und fiel zu Boden starb auch ihr Besitzer auf Heron, meist nach langem erfülltem Leben. Wurde ihm aber Gewalt angetan so ging die Blüte in Flammen auf und die Asche verteilte sich mit den warmen Winden der fünften Ebene. So war es auch vor kurzem geschehen, auf einen Schlag waren mehrere der Lilien verbrannt und hatten die Silbergöttin in ihrer Ruhe gestört. Zwar war es keine Seltenheit dass viele Blüten auf einmal verbrannten, Kriege gab es oft genug, doch an diesen hier war etwas Besonderes gewesen – und war es noch. Mit gerunzelter Stirn erhob sich die Herrin der Seelen und schritt hinaus zu ihrem See. Dort angekommen, ihre Schwäne mit einem sanften Lächeln begrüßend, ließ sie sich in Gras nieder und stich über die Wasseroberfläche. Als die Wellen sich wieder gelegt hatten leuchtete ein kreisförmiger Bereich des Sees auf und ließ die silbernen Tore und die Brücke zu ihnen erkennen. Vor der Brücke konnte die Silbergöttin eine ihr unangenehm vertraute Person erblicken. Mit einem leisen Fluch erhob sie sich und zusammen mit dem Bild auf dem Wasser verschwand sie.
Nebel wallte um die Hufe der Pferde, nur schemenhaft konnte Tyal seine Männer erkennen. Bevor er jedoch den Befehl geben konnte näher zusammen zurücken schnaubte eines der Tiere und tänzelte angsterfüllt rückwärts. Aus dem Dunst schritt eine gewaltige schwarze Katze auf die Soldaten zu, ihre gelben Augen suchten Tyals Blick. Dieser zog sein Schwert und bemühte sich gleichzeitig sein Pferd zu beruhigen. „Steckt Eurer Schwert wieder weg, Hauptmann Tyal, und sagt Euren Leuten dass sie absteigen sollen.“ Überrascht zuckte Tyal zusammen, war doch die Stimme direkt in seinem Kopf erklungen. Langsam schob er sein Schwert zurück in die Scheide und bedeutete dem Rest der Truppe abzusteigen. Nervös folgten die Männer seinen Anweisungen. „Wo sind wir und wer bist du? Deine Stimme klingt vertraut, Katze.“ Konnten Katzen grinsen? Tyal erschien es fast so. Doch noch bevor er den Gedanken vollendet hatte verschwamm die Gestalt der schwarzen Bestie und vor ihm und seinen Männer stand wieder einmal die junge Frau mit den schwarzen Augen. Spöttisch lächelnd verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Oh, solltet Ihr Euch doch noch meiner erinnern, Hauptmann? Ich fühle mich ja beinahe geschmeichelt. Und um Eure Neugier in zweierlei Hinsicht zu befriedigen: wir befinden uns auf der fünften Ebene und mein Name ist….“ Eine donnernde, jedoch eindeutig weibliche, Stimme und eine Druckwelle, die über die Soldaten hinweg rollte, unterbrachen sie schlagartig. „Rago!“ Die Augen verdrehend und weiterhin grinsend drehte sich die junge Frau zu der dazugekommenen Person um. In der Mitte der Brücke war eine hoch gewachsene Frau, gekleidet in fließenden, silbernen Gewändern, erschienen und funkelte die vor ihr stehenden Personen wütend an. Mit einer kleinen Verbeugung wandte sich ihr die Frau namens Rago vollends zu. „Es ist doch immer wieder schön wenn sich die Leute an mich erinnern. Sei mir gegrüßt, Silberne. Ich hoffe ich störe nicht bei irgendetwas Wichtigem.“ Einer der Soldaten erbleichte und ergriff Tyal am Arm. „Habt Ihr das gehört, Hauptmann? Diese Hexe hat uns ins Totenreich gebracht und uns in die Fänge des Schnitters gegeben. Und ihre Gestalt…sie ist eine Dienerin Baraghors, mein Großvater hat mir davon erzählt! Wir müssen sofort hier weg!“ Panisch warf sich der Mann herum und ergriff die Flucht. Innerhalb von Sekunden war er in den Nebeln verschwunden. Tyal sah ihm fassungslos nach und griff nach den Zügeln seines Pferdes um ihm zu folgen als ihn die Stimme der Frau auf der Brücke zurückhielt. „Bemüht Euch nicht, Tyal von Siihr. Eurem Mann geschieht nichts und er wird gleich wieder da sein. Niemand bewegt sich ohne mich auf der fünften Ebene. Was mich zu dir bringt, Rago. Was willst du mit diesen Männern hier? Sie sind ja nicht einmal tot!“ Schmunzelt lehnte sich die Angesprochene an die Flanke eines Pferdes. Bevor sie jedoch zu einer Antwort ansetzen konnte erschien neben ihr wie aus der Luft gegriffen der geflohene Soldat. Vollkommen entgeistert sah er sich um und machte einen, von einem spitzen Schrei begleiteten, Satz aus Ragos Reichweite. Lachend wandte diese sich nun an die Silbergöttin. „Nun, ich bin mit dieses Menschen hierher gekommen weil sie einen Teil ihrer Truppe verloren haben….und du mir etwas schuldest.“ Der zornige Gesichtsausdruck der Göttin wich ungläubigem Spott. „Was tue ich bitte? Einer Sterblichen etwas schulden? Ist dir die Nähe zu Baraghor zu Kopf gestiegen, Rago, oder bist du schlicht und einfach größenwahnsinnig? Wie kommst du nur auf solch einen absurden Gedanken?“ Tyal sah von einer zur anderen und fragt sich nicht zum ersten Mal wo er und seine Männer hineingeraten waren. Dann aber besann er sich seiner Herkunft, fasste sich ein Herz und trat vor. „Die Damen werden entschuldigen wenn ich ihre Debatte kurz unterbreche….aber was bei allen Göttern geht hier vor? Und stimmt es, was mein Mann gesagt hat? Seid Ihr eine Dienerin des Dunklen Gottes? Und ist dies hier wirklich das Totenreich?“ Er unterstrich seine Frage mit einer allumfassenden Geste. Rago lächelte ihn an, die Göttin nickte. Gleichzeitig antworteten sie ihm beide mit einem „Ja“. Tyal schluckte, schaffe es aber nicht zu einer weiteren Frage da Rago ihm zuvor kam. „Ich bin hier weil ich die Soldaten des Trupps zurückhaben möchte. Und behaupte nicht, ich hätte dir in letzter Zeit nicht ausreichend Gäste besorgt als dass du auf diese paar nicht verzichten könntest. Zumal du genau weißt dass ich dich bereits in Kürze für den Verlust entschädigen werde.“ Nachdenklich tippte sich die Silberne mit einem Finger gegen die Lippen. „Du weißt das deine Tat jemandem ganz Bestimmten mit hundertprozentiger Sicherheit nicht gefallen wird, oder? Aber gut, damit musst du dich auseinander setzen. Tu, was du willst…aber es ist das erste und das letzte Mal!“ Mit diesen Worten verschwand die Herrin der Seelen in einem Lichtwirbel, ließ Rago und die Soldaten allein zurück. Tyal packte die junge Frau am Arm und drehte sie zu sich herum. „Was meintet Ihr mit dem Satz Ich will die Soldaten zurück? Was spielt Ihr hier?“ Betont gelassen senkte Rago den Blick auf die immer noch auf ihrem Arm liegend Hand. Hastig zog Tyal sie weg, sah sie aber weiterhin fragend an. „Naja, was werde ich schon angesichts unseres momentanen Aufenthaltsortes gemeint haben? Ich werde Euch zu Eurem Bruder und zu Euren Männern bringen und dafür sorgen dass sie alle wieder wohlbehalten und vor allem lebendig mit Euch zusammen heimreisen können.“ Diese Eröffnung musste der junge Hauptmann erst einmal verdauen. Rago gab ihm aber keine Gelegenheit lange zu grübeln. „Auf der anderen Seite dieser Brücke liegt die eigentliche fünfte Ebene. Dort können sich die Seelen der Verstorbenen frei bewegen und sind beinahe so glücklich wie zu Lebzeiten – je nach Todesart, versteht sich. Dort werdet Ihr Euren Bruder und Eure Männer wieder finden und sie mit meiner Hilfe – und mit Unterstützung unserer silbernen Freundin – zurück ins Reich der Lebenden bringen. Aber lasst Euch gesagt sein: Ihr werdet auch andere Verstorbene sehen. Familienmitglieder, Freunde, gefallene Gegner, sie alle sind hier. Doch hütet Euch davor auch nur einen von ihren zu berühren, sonst seid Ihr für immer hier bei ihnen gefangen. Und nun folgt mir, es wird Zeit.“ Ohne weiters Wort drehte Rago sich um und schritt auf die Brücke. Tyal wandte sich mit einem fragenden Blick an seine Männer. Diese sahen sich an, zuckten mit den Achseln und nickten. Geschlossen folgten die Soldaten der seltsamen Frau über die Brücke. Auf der anderen Seite angekommen blieb Rago vor den riesigen Torflügeln stehen. „Ich werde hier auf Euch warten. Bedenkt noch mal, dass Ihr keine Seele berühren dürft selbst wenn es sich nur um die eines Schmetterlings handeln sollte. Findet Eure Männer und kehrt dann hierher zurück. Sobald sie das Tor durchschritten haben werden sie wieder leben und wir können hier endlich wieder weg.“ Täuschte sich Tyal oder wurde Rago langsam nervös? Mit einer fahrigen Handbewegung und ein paar unverständlichen Silben wandte sie sich nun dem Tor zu. Langsam und vollkommen lautlos öffnete sich einer der Flügel und gab den Blick auf sonnenbeschienene Wiesen frei. Kinderlachen und Vogelgesang erfüllte die Luft. Der Hauptmann stutzte. Das sollte das Reich der Toten sein? Irgendwie hatte er sich diesen Ort immer anders vorgestellt. Rago lehne sich an den Türrahmen und wies mit einer einladenden Geste auf die Welt hinter dem Tor. „Geht und sucht Eure Leute. Ich werde hier auf Eure Rückkehr warten.“ Tyal packte sein Schwert fester (mochte es auch nutzlos sein, er fühlte sich sicherer damit) und gab seinen Männern das Zeichen ihm zu folgen. Helles Sonnenlicht umfing die kleine Gruppe als sie das Tor durchschritt und langsam dem mit Marmorplatten ausgelegten Weg folgte. Seltsamerweise verlief dieser nur geradeaus, ohne Abzweigungen oder Biegungen. Als sich der Hauptmann umdrehte und zum Tor zurück sah stelle er fest dass dieses bereist außer Sicht war. Aber dabei waren sie doch erst fünf Minuten unterwegs! Tyal schüttelte den Kopf – was für eine merkwürdige Welt. Ein Rudel durchscheinender Rehe, angeführt von einem majestätischen Hirsch mit ausladendem Geweih, sprang vor der Soldatengruppe über den Weg. Einer seiner Männer legte den Kopf schief und lauschte. Sein Gesicht hellte sich auf und er tippte seinem Vorgesetzten auf die Schulter. „Das ist unser Kriegslied, Hauptmann! Myral und die anderen müssen ganz in der Nähe sein.“ Die Truppe verfiel in Laufschritt und folgte den Weg bis zu etwas, das wohl in der Welt der Lebenden ein Bauernhof hätte sein können. Jedoch unterschied es sich grundlegend durch die Transparenz der Gebäude, Tiere und Bewohner. Auf dem offenen Hof, rund um den Brunnen, saßen die Seelen der gegen die Khaatam gefallenen Soldaten, sahen zwei anderen beim Waffengang zu und sangen das Schlachtenlied von Siihr. Von den grausamen Wunden, welche die Flugschlangen seinen Leuten geschlagen hatten, war nichts mehr zu sehen. Freudestrahlend erkannte Tyal seinen Bruder und auf sein Zeichen hin fielen er und seine verbliebenen Männer in den Gesang mit ein. Irritiert ließen die Krieger die Waffen sinken und drehten sich um. Jubel erhob sich über den Männer als sie ihren Hauptmann entgegen rannten. Grinsend blieb dieser stehen als sich ein Kreis durchscheinender Soldaten um ihn herum bildete. Abwehrend hob Tyal die Hände als ihm sein Bruder auf die Schulter klopfen wollte. „Ich freu mich auch euch zu sehen, Myral, aber wir dürfen euch, und ihr uns, nicht berühren bevor wir hier wieder raus sind. Am Tor wartet jemand auf uns der uns wieder in die Welt der Lebenden zurückbringt, dann können wir unser Wiedersehen immer noch feiern. Kommt jetzt also.“ Seine Männer bildeten grinsend eine Marschgruppe, immer eine Seele neben einem Lebenden. Immer noch singend machte sich der Tross auf den Weg zurück zum Tor. Der Rückweg erschien jedem einzelnen weit kürzer als der Weg hinein, schon nach wenigen Schritten kamen die riesigen Torflügel in Sicht. Tyal atmete erleichtert auf als er Ragos vertraute Gestalt sah, immer noch müßig an den Türrahmen gelehnt. Sie hatte ihr Wort gehalten und gewartet. Und irgendetwas tief in ihm sagte ihm dass er sich keine Sorgen hätte machen müssen, dass er ihr vertrauen könnte. Verwirrt schüttelte er den Kopf. Was war nur los mit ihm? Er kannte diese Frau erst ein paar Stunden, hatte sie bisher nur zweimal unter mysteriösen Umständen getroffen und trotzdem war da dieses Gefühl...diese Wärme, wenn er sie ansah. Rago blickte ihm fest in die Augen, als der Trupp das Tor passierte. Ein schwaches Lächeln lag auf ihren Lippen. Spiegelte sein Gesicht seine Gefühle und Gedanken so deutlich? Doch zu weiteren Überlegungen blieb ihm später noch Zeit, nun galt es diesen ungastlichen Ort schnellstens wieder zu verlassen. Er folgte seinen Leuten durch das Tor, Rago schritt als letzte hindurch und hinter ihr glitten die Flügel lautlos aufeinander zu. Als sie sich jedoch vollständig geschlossen hatten fuhr ein Donnerschlag über die Gruppe hinweg und die Seelen der Soldaten glühten auf, so hell dass Tyal den Blick abwenden musste. Vorsichtig blinzelnd hob er den Blick als das Licht verloschen war, im selben Augenblick jedoch fiel ihm Myral um den Hals. „Oh, ich wusste die ganze Zeit dass es so nicht enden würde! Ich wusste du hast uns nicht aufgegeben!“ Halb lachend, halb weinend lagen sich die Brüder und auch die Soldaten in den Armen und feierten ihre Wiedervereinigung. Ein leises Räuspern unterbrach die allgemeine Freude – schweigend wies Rago auf die wartenden Pferde. Tyal gab seinen Männer das Zeichen zum Aufsteigen, da jedoch nicht genug Tiere für alle da waren saßen auf machen zwei Soldaten hintereinander.
Rago besah sich die glücklich lachenden Menschen und verdrehte die Augen. Mit schief gelegtem Kopf sah sie den Hauptmann fragend an. Als dieser nickte breitete sie die Arme aus und schloss die Augen.
Wieder erstrahlte die Kugel aus blauem Licht und wieder war die Reitergruppe verschwunden, als das Leuchten nachließ.
An ihrem See seufzte die Silbergöttin leise als die Soldaten verschwunden waren.
„Ich hoffe, du weißt was du getan hast, Kind der Nacht. Und ich wünsche dir viel Glück – du wirst es brauchen.“
Kaljana
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Thema: Re: Leseprobe "Die Diener der Dunkelheit" Mo März 10, 2008 9:43 pm
7. Ja, so lies es sich eindeutig leben! Markor veränderte seine Lage und blinzelte in die Sonne hinauf. Er war im Begriff auf die Jagd zu gehen, wollte aber vorher noch ein ausgiebiges Sonnenbad nehmen. Er legte den gewaltigen Schädel zwischen die Vorderpranken und schloss die Augen. Im Geist reiste er drei Tage zurück und entsann sich an seinen letzten Ausflug mit Rago. Da sie beide Seelenverwandt waren, hatte er ihren mentalen Ruf vernommen und war zur Schwarzen Burg geflogen. Dort hatte sie auf dem höchsten Turm auf ihn gewartet. Prachtvoll hatte sie ausgesehen, wie der Wind mit ihren Haaren und ihrem Umhang gespielt hatte und sie ihm unbeeindruckt trotzte. Er war im Hof gelandet und hatte mal wieder die zur Jagd aufbrechenden Panther erschreckt. In alle Richtungen waren die Kinder der Nacht davon gesprungen als der rund zehnmal größere Drache brüllend zwischen sie gefahren war. Markor lachte leise in sich hinein. Dumme Katzen. Rago war zu ihm herunter gekommen und hatte sich zur Begrüßung an seine Brust gelehnt, ohne jeder Furcht, obwohl sie neben ihm wie eine Spielzeugpuppe wirkte. „Wohin heute?“ hatte er gefragt. Da Rago kein Arat, die Sprache der Drachen, sprach und Markors Anatomie ihm die Sprache der Menschen vorenthielt, verständigten sich die beiden mit Telepathie. Die Sprache von Geist und Gedanke sprach jedes Lebewesen. „Nach Süden.“ hatte die Antwort gelautet. Markor hatte sie mit seinen großen, gelben Augen gemustert und unwillig geschnaubt. Süden bedeutete die Überquerung der Steinernen Grenze und das bedeutete Schnee. „Ich weiß, Markor. Aber möchtest du mit Ihm diskutieren? Unser Weg zu den elenden Menschensiedlungen, die Baraghor vernichtet sehen möchte, ist nun mal leider mit Schnee und Kälte verbunden.“ Sanft hatte sie ihm den Brauenbogen gekrault und ihm ein beinahe katzenhaftes Schnurren entlockt – allerdings gehörte dieses Schnurren zu einer sehr großen Katze. Dann flimmerte ihre Gestalt und sie war im Sattel, befestigt hinter seinem Hals- aber noch vor seinem Flügelansatz, wieder aufgetaucht. Rasch sicherte sie ihren Sitz mit den Lederbändern. Schon jetzt befand sie sich rund zehn Meter über dem Boden und dabei duckte sich Markor an den Boden. Hoch aufgerichtet würden sich seine Schultern gute zweiundzwanzig Meter über den Boden erheben. Seine gewaltige Spannweite, von Flügelspitze zu Flügelspitze, hätte mit ihren gewaltigen, beinahe fünfzig Metern gar nicht in den Hof gepasst. „Fertig, Großer. Du kannst starten.“ Amüsiert hatte er sie über die Schulter hinweg angezwinkert und dann die Burgmauern mit seinem Gebrüll zum Erbeben gebracht. Dann spannte er den Körper und stieß sich kräftig mit den Hinterbeinen ab. Mit kraftvollen Flügelschlägen gewann er an Höhe und trug Rago in den nächtlichen Himmel hinein. Als sie die Burg weit unter sich gelassen, und die Wolkendecke durchbrochen hatten, wurden die kurzen, Höhe gewinnenden Flügelschläge durch ein majestätisches Gleiten abgelöst. Er spürte wie der Wind an Ragos Umhang zerrte. Gemeinsam jagten sie dem Mond und den Sternen hinterher und seine Reiterin stimmte in seinen Triumphschrei mit ein. Sie waren frei, Gebieter der Lüfte und Herrscher über alle fliegenden Kreaturen! Wie ein übermütiger Jungdrache während seiner ersten Flugstunde schlug Markor Kapriolen bis sich Rago mental bei ihm beschwerte. Doch er spürte wie sehr auch sie den gemeinsamen Flug genoss. Zwei Stunden später hatten sie die Bergkette erreicht und Markor sank unter die Wolken, um nicht aus Versehen mit einem der Gipfel zu kollidieren. Protestierend brüllten beide auf als sie mitten in einen Regenschauer hinein gerieten. Da wäre ihm Schnee beinahe lieber gewesen! Rago hatte sich in fester in ihren Mantel gewickelt, war aber trotzdem innerhalb kürzester Zeit vollkommen durchnässt.
„Da unten sind ein paar Höhlen, einige auch groß genug für mich. Soll ich landen?“ fragte er. Rago hatte zugestimmt, froh aus der Nässe heraus zu kommen, und Markor hatte zur Landung angesetzt. Mit angelegten Flügeln waren die beiden der Erde entgegen gestürzt, erst ein dutzend Meter über den Baumkronen wandelte Markor den Sturz- in einen Gleitflug um. Er hatte einen Talkessel angesteuert und war dort gelandet. Die Seitenwände waren bemoost und verwittert gewesen, die Höhleneingänge hatten dunkel und abweisend ausgesehen. Rago hatte sich neben seiner Vorderpranke materialisiert, im selben Augenblick wo Markor durch ein gewaltiges Niesen beinahe einen Steinschlag ausgelöst hätte. Verfolgt von Ragos klingendem Lachen war er brummelnd in die Höhle hinein gekrochen, nur um mit einem weiteren Niesen ein Rudel Ghodars in heillose Panik zu stürzen. Die kleinen Flugechsen waren, wütende Protestschreie ausstoßend, an Rago vorbei in die Nacht hinaus geschossen. Kurze Zeit später hatten sie beide an einem kleinen Feuer gesessen, und sich Geschichten erzählt. Markor drehte sich auf den Bauch und ließ träge die Flügel im Sonnenlicht hängen. Sein Volk war seit dem ersten Ei mit den Menschen verbunden, wurden die Nestlinge doch von den Druiden des Lohrwaldes bewacht. Doch seine Bindung zu Rago war anders – stärker, intensiver. Manchmal geschah es sogar dass er ihre Träume sehen und miterleben konnte wenn sie, gewärmt von seinem gewaltigen Leib, neben ihm schlief. So war es auch in der Nacht in der Höhle geschehen. Grummelnd ließ der Drache den Kopf auf das Felsplateau sinken. Dieser Traum war sehr seltsam und beinahe beunruhigend gewesen. Markor schloss die Augen. In seiner Erinnerung sah er Ragos Traum durch ihre Augen. Sie befand sich im Wald, welcher die Schwarze Burg umgab. Der Wind spielte mit ihrem Haar, trug das Lied der Kinder der Nacht an ihr Ohr. Sie riefen sie zu sich. Auf einer Lichtung, gebadet in silbernes Mondlicht, fiel ihre menschliche Hülle von ihr ab und gebar einen geschmeidigen, kraftvollen Katzenleib. Schwarz wie ein Schatten zur Mittagszeit, mit Augen wie flüssiges Gold, Zähnen wie Dolche und einer Stimme wie Donner begrüßte Rago ihre Geschwister. Als größte von ihnen führte sie das Rudel an, belohnte Loyalität mit Schutz und bestrafte Ungehorsam oder Feigheit mit dem Tod. Ihre Krallen rissen tiefe Wunden in dem Waldboden als das Rudel durch das Unterholz glitt und auf die Jagd ging. Sie genoss den Wind in ihrem Fell, suchte aber gleichzeitig auch nach dem Geruch einer potenziellen Beute. Lautlos folgte ihr der Rest des Rudels als sie erstarrte und ihren schlanken Körper ins Gras abduckte. Da, vor ihr auf dem kleinen Hügel, war Beute. Vollkommen lautlos glitt sie weiter, näher an ihr ahnungsloses Opfer heran. Doch es schien, als sei der große weiße Hirsch, der hocherhobenen Hauptes auf dem Hügel stand, nicht ganz so ahnungslos wie Rago es sich wünschte. Schnaubend stampfte er mit den Hufen auf und schüttelte das beeindruckende Geweih in ihre Richtung – er wusste ganz genau wo sie war. Schulterzuckend trat sie aus ihrer Deckung heraus und brüllte dem Hirsch ihre Herausforderung zu. Der Rest des Rudels glitt um den Hügel herum um ihm den Fluchtweg abzuschneiden, zog sich aber auf einen lautlosen Befehl Ragos hin zurück. Ihr Körper spannte sich wie eine Bogensehne, ihre Krallen bohrten sich in den Waldboden. Dann, im Bruchteil einer Sekunde, schnellte sie los und sprang den Hirsch an. Dieser jedoch reagierte ebenso schnell und riss den Kopf herum. Hart traf sie das Geweih in der Flanke und schleuderte sie den Hügel wieder hinunter. Betäubt rappelte sie sich auf und schüttelte sich. Ihre Geschwister rückten näher an den Hügel heran und knurrten den Hirsch drohend an. Als Rago allerdings ein donnerndes Brüllen erschallen ließ und sich erneut zum Sprung duckte, zogen sie sich wieder zurück. Fauchend visierte sie den Hirsch an. Wieder sprang sie und diesmal war sie sich ihres Sieges sicher, konnte das Blut ihres Gegners bereits schmecken. Doch der weiße Hirsch stieg auf die Hinterhand, fing sie erneut ab und schleuderte sie abermals von sich. Eine seiner Geweihsprossen riss ihr die Seite auf und als sie hart auf dem Waldboden aufschlug schwanden ihr die Sinne. Markor hatte sie geweckt und sie beruhigt. Aber auch er war verwirrt gewesen, besaßen doch Träume dieser Art immer einen wahren, prophetischen Kern. Zumal Rago die Verletzung aus dem Traum mitgebracht hatte und nun aus einer Wunde in der rechten Seite blutete.
Hufegetrappel und Schritte rissen den dösenden Drachen aus seinen Gedanken. Eine etwa dreißig Mann starke Gruppe betrat, gefolgt von einem gepanzerten Reiter, das Plateau. Schwerter glänzten im Sonnenlicht, grimmige Blicke verfolgte jede von Markors Bewegungen. Dieser verengte die Augen zu Schlitzen und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Menschen! Die ihn beim Mittagsschläfchen störten! Er breitete die Flügel aus und brüllte den Männern seinen Unmut entgegen. Im ersten Moment wichen diese angstvoll zurück, beinahe hinter das sich aufbäumende Pferd, doch rasch überwanden sie ihre Furcht und rückten vor. Markor wurde wütend. Er wartete, bis sich einer der Menschen etwas weiter vorgewagt hatte als der Rest, dann blies er ihm einen Feuerball vor die Füße. Bis dorthin und nicht weiter! Schreiend sprang der Mann zurück, anscheinend war dies seine erste Drachenjagd. Schmunzelnd nahm der Drache seinen nächsten Gegner ins Visier als ihn von oben ein Felsbrocken im Nacken traf. Brüllend hob er den Kopf und schickte eine Feuerkugel zwischen die Männer, die auf dem Felsgrad über ihm erschienen waren. Dabei ließ er jedoch die Menschen vor sich aus den Augen und einer von ihnen sprang vor und rammte ihm das Schwert bis zum Heft in die Vorderpfote. Fauchend fuhr der gewaltige Drachenkopf zu dem Mann herum, doch dieser hatte sich hinter Markors Flügel in Deckung begeben. Nun tauchten hinter den Steinewerfern noch Bogenschützen auf und nahmen den Drachen unter Beschuss. Wieder schickte Markor einen Feuerball hinauf und schnaubte erfreut als drei der Männer schreiend und brennend auf dem Plateau aufschlugen. Was bildeten sich diese winzigen Wesen nur ein? Doch waren die winzigen Wesen bei Weitem in der Überzahl und bedrängten ihn nun von allen Seiten. Von oben hagelte es Steine und Pfeile, vor ihm sprangen die Schwertkämpfer hin und her. Ein Pfeil blieb bebend in der empfindlichen Membran seines linken Flügels stecken. Brüllend wirbelte Markor herum und fegte mit seiner Körpermasse sowohl den Angreifer hinter seinem Flügel, als auch noch drei weitere Männer in den Abgrund neben dem Plateau. Doch noch während er sich wieder umdrehte und sich den Schwertkämpfern zuwandte, schleuderten ihm die Männer auf dem Grad weitere Felsbrocken auf Nacken und Rumpf. Eines der Geschosse zertrümmerte ihm den rechten Flügelansatz. Einer der Bogenschützen sah seine Chance als Markor die unerreichbaren Gegner anbrüllte und Luft für einen Feuerball holte. Mit geradezu schlafwandlerischer Sicherheit legte der Mann einen Pfeil auf die Sehne, zielte und ließ los. Sirrend durchschnitt das Geschoss die Luft und jagte auf das geöffnete Drachemaul zu. Markor erkannte die Gefahr zu spät und so fuhr ihm der Pfeil tief in den Rachen. Brüllend vor Schmerz wollte er dem Schützen mit einer Feuerkugel antworten doch hatte ihn der Pfeil schwer verletzt und das ausströmende Blut erstickte seine Flammen. Durch diesen Meisterschuss ermutigt stürmten die Nahkämpfer vor und brachten dem Drachen weitere Wunden bei. Dieser schlug nun mit dem linken, noch größtenteils unverletzten Flügel, doch auch dieser einseitige Sturmwind reichte aus, fünf weitere Männer über den Rand des Plateaus zu schleudern. Zum zweiten Mal gelang dem Bogenschützen ein Prachtschuss und Markor schrie gepeinigt auf als er auf dem rechten Auge plötzlich nichts mehr sah. Langsam aber sicher dämmerte ihm seine aussichtlose Lage. Wandte er sich den Schwertkämpfern zu konnte er den Pfeilen und Felsen nicht mehr ausweichen, doch an die Schützen kam er ohne seinen Feuerodem nicht mehr heran. Ein besonders mutiger Nahkämpfer rannte auf Markors blinder Seite bis unter den Kopf des Drachens und brachte ihm eine tiefe Wunde an der Brust bei. Jedoch hatte er sich zu sicher gefühlt denn Markor packte ihn blitzschnell mit einer seiner Pranken und zermalmte ihn.
Der gepanzerte Reiter hatte bisher nicht in den Kampf eingegriffen. Nun aber, wo der Drache geschlagen schien, ließ er sich eine schwere, eisenbeschlagene Lanze reichen. Sein tänzelndes Pferd mit grausamer Hand zur Räson bringend legte er auf Markor an und galoppierte los. Die Schwertkämpfer sprangen zur Seite, rücksichtslos bahnte sich der Reiter seinen Weg über das Plateau. Markor bemerkte ihn beinahe zu spät, abgelenkt durch die Bogenschützen und die Felsen. Als er dem Angreifer jedoch gewahr wurde brüllte er auf und stellte sich mit einem Ruck auf die Hinterbeine. Mit einem Prankenschlag warf er dabei noch einige Männer in den Abgrund doch gegen die größere Reichweite der Lanze kam er nicht an. Krachend rammte sie sich tief zwischen zwei Brustschuppen, dort wo das Herz des Drachens saß. Der Reiter hatte offensichtlich genau gewusst wo er hatte treffen müssen.
Mit einem schrillen Brüllen bäumte Markor sich auf und brach dann zusammen, die Ebene erbebte als er der Länge nach hinschlug. Im Fall breitete er so weit es ging die Flügel aus, beinahe sah es so aus als würde er jeden Moment davonfliegen wollen. Der Reiter war abgestiegen und trat nun mit gezogenem Schwert vor das noch intakte Drachenaugen. Langsam führte er die Hand zum Helm und öffnete das Visier – und Markor erkannte ihn. Ein ungläubiger, fragender Blick traf den Bewaffneten, dann schloss der Feuerdrache die Augen und sein schwarzen Schuppenkleid wechselte die Farbe. In strahlendem Gold, der Farbe der sterbenden Drachen, lag er nun vor den Männern, die nun schweigend um ihn herum standen.
Er seufzte. Er war der erste der Großen Drachen gewesen, der erste des Horts. Er war Hüter des ersten Eies gewesen und Bewahrer aller Geheimnisse, die das Volk der Drachen je gesammelt hatte. Er war nicht wie die anderen aus einem Ei geschlüpft sondern war durch den Willen und das Wort eine Gottes aus dem Bett der Sterne geformt worden.
Hinter seinen geschlossenen Augen sah er seine Zeit als Jungdrache an sich vorbei ziehen, die Zeit mit den Weibchen und der Rivalenkämpfe, die Zeit mit Rago. Die anderes Drachen würden einen neuen Anführer finden, die Weibchen einen jüngeren Drachenbullen. Doch Rago? Sie würde nie wieder mit ihm fliegen, nie wieder würde sie gemeinsam den Wind jagen.
Markor atmete ein letztes Mal tief durch. Er hatte immer gewusst dass auch seine Blüte einmal verwelken oder verbrennen würde doch nun hatte er Furcht vor den Tod, Angst vor dem Sterben. Seine Pranken rissen den Fels des Plateaus auf als er seinen letzten Atem aushauchte.
Der Leitdrache der großen Feuerdrachen war tot.
Kaljana
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Thema: Re: Leseprobe "Die Diener der Dunkelheit" Mo März 10, 2008 9:56 pm
8. Höflich ausdrückt wäre Alaghor Restadan wohl als beleibt bezeichnet worden, er selber sah es realistisch – er war schlicht und ergreifend unglaublich fett. Aber ihn kümmerte es nicht und jeder andere, der es wagte ihn darauf anzusprechend, oder mit diesem Adjektiv zu beschreiben, bereute es bitterlich. Alaghor drehte gedankenversunken den schweren Goldring, den er an einer Kette um den Hals trug - über seine Finger hätte er ihn niemals bekommen - zwischen den Fingern und besah sich seine neue „Ware“. Missbilligend schürzte er die Lippen und stemmte sich mit Hilfe seines Sklaven von der Liege. Sich ein parfümiertes Tuch unter die Nase haltend watschelte er an der Reihe halbnackter Gestalten entlang, stach hier einen feisten Finger in geschundenes Fleisch, zwang hier Kiefer auseinander um Zähne zu prüfen. Kopfschüttelnd wandte er sich am Ende der Beschauung an eine reich gekleidete Frau mit grünen Augen. „Was bringst du mir halbtote Hungerleider, Inowa? Diese hier eignen sich ja nicht einmal mehr als Bärenfutter, da verhungern mir die Tierchen ja, so wenig ist an denen dran. Nein, nein, für diese kann ich dir nicht den vollen Preis zahlen. Da ist kein Kämpfer dabei, das sind alles nur Opfer.“ Die Frau hob eine fein geschwungene Augenbraue und lächelte spöttisch. „Lass die Spielchen, Alaghor, dafür kennen wir uns beide schon viel zu lange. Du weißt wie ich was meine Lieferung wert ist und wie immer werden wir uns einigen – auf den vereinbarten Preis.“ Alaghor verdrehte gequält lächelnd die Augen, aber er nickte. Seine fleischigen Finger tätschelten ihren Arm. „Du hast wie immer Recht, meine Liebe. Nun ja, wenn sie erst einmal sauber sind sehen sie wohl tauglicher aus und vielleicht ist ja unter den vier Männer doch einer, der ein Schwert halten kann. Auf dich war bisher ja immer Verlass, du trägst den Ruf der besten Fleischhändlerin Herons sicherlich nicht zu unrecht Er winkte seinen Sklaven näher und wisperte ihm ein paar Befehle zu. Auf einen Zeichen des Jungen, er war kaum älter als zwölf Jahre, traten Männer in grellbunten Roben ein und führten die Gefangenen fort. Alaghor rief ihnen letzte Anweisungen hinterher, bevor er sich wieder auf seine Liege fallen ließ. Leise knirschend protestierte das Möbel gegen die heftige Beanspruchung. Er ließ sich von seinem Diener das Schreibbrett bringen und stellte Inowa einen Schuldschein aus. Huldvoll fächelte er das Pergament durch die Luft, nachdem er es gesiegelt hatte. „Bitte sehr, meine Liebe, fünfhundert Goldstücke – wie immer für 15 Sklaven.“ Inowa trat auf die Liege zu und nahm das Schreiben entgegen, vermied es aber sorgfältig Alaghor zu berühren. Sie hasste ihn inbrünstig, war aber viel zu schlau und zu gierig es ihm zu zeigen. „Es war wie immer ein Vergnügen Geschäfte mit Dir zu machen, Lord Restadan. Bis wir uns wieder sehen.“ Mit einer leichten Verbeugung verabschiedete sie sich. Nach dem sie den Raum verlassen hatte tauchte hinter dem Paravent, der hinter der Liege positioniert war, Alaghors Leibwächter Dirion auf und entspannte die Armbrust. Nachdem er die Waffe beiseite gestellt hatte ließ er sich auf einen gepolsterten Schemel neben der Liege sinken. „Ein abscheuliches Weib! Eine Frau, die mit Sklaven handelt…unnatürlich so etwas. Warum gebt Ihr Euch nur mit ihr ab, Herr?“ Alaghor lächelte belustigt und griff nach dem Weinglas. „Nun, sie beeindruckt mich…schließlich war sie selber mal eine Sklavin. Sie befreite sich, tötete den Händler, der sie verkaufen wollte, und nahm seinen Platz ein. Soviel Kaltherzigkeit, eine solche Gefühllosigkeit im Angesicht des eben entgangenen Schicksals, andere ins Unglück stürzen…für Inowa gab und gibt es nicht schöneres.“ Dirion grunzte missbilligend und schnappte sich den Weinkrug, auf ein Glas verzichtete er wie immer. „Sei’s drum. Ihre Ware ist annehmbar, wie immer. Aus drei der Männer kann Eiras Kämpfer machen, der vierte taugt zum Eunuchen – zu zart für einen Krieger. Die Mädchen…naja, drei für das Freudenhaus, drei mit kleinen Makeln für die Küche. Die restlichen fünf für Euren Harem, alles noch Jungfrauen.“ Er grinste anzüglich, wusste er doch um die Gelüste seines Herren und, durch den jahrelangen vertrauten Dienst, was und wie viel er sich erlauben durfte. Alaghor lachte auf und verschluckte sich beinahe an seinem Wein. „Fein, fein, kümmere dich darum. Und dann geh zur Arena und sag Eiras dass er sich etwas besonders einfallen lassen soll – es wird wohl bald ein Fest geben.“ Dirion wischt sich den roten Wein aus dem Bart. „Ein Fest? Steht schon wieder ein Feiertag an, den ich vergessen habe?“ Die fetten Finger des Sklavenhändlers grabschten nach dem Weinkrug, doch dieser war leer und Alaghor warf ihn über die Schulter seinem Sklavenjungen vor die Brust. „Oh, du bist wahrlich ein Holzkopf, Dirion! Bald ist Hochzeit im Palast! Der ältere Welpe des Königs wird irgendeine blaublütige Schlampe in sein Bett holen, Palast und Stadt vibrieren vor Gerüchten um das Datum.“ Der Leibwächter grinste breit und machte eine vulgäre Bewegung mit den Hüften. „Geistert Monate in der Weltgeschichte herum und komm dann zum vögeln zurück! Das muss ein Leben sein!“ Sein Gerede schien ihn erregt zu haben, zeichnete sich doch unter dem Stoff seiner Hose eine Erektion ab. Alaghor bemerkte es und winkte ihn unwillig fort. „Such dir eine Hure, Dirion, aber geh mir aus den Augen. Dein Anblick bereitet mir Übelkeit.“ Er tupfte sich die Stirn und den fleischigen Nacken ab, nahm dann das gefüllte Weinglas von seinem Sklaven entgegen und wandte demonstrativ den Blick von seinem Leibwächter ab. Dirion zuckte grinsend mit den Schultern und ging. Alaghor schüttelte sich angeekelt – offene Lust, so es nicht seine eigene war, widerte ihn an. Dieser Gedankengang führte ihn zu den neuen Mädchen, die Inowa gebracht hatte. Heute Abend würde er sie sich anschauen…und vielleicht mehr. Er grinste lüstern und leckte sich die dicken Lippen. Ein verhaltenes Räuspern unterbrach seine Träumereien. Im Türbogen stand Ghandor, der Großwesir Siihrs. „Ah, Lord Ghandor. Es ist stets eine Freude Euch zu sehen. Bitte, bitte, tretet näher und nehmt Platz. Darf ich Euch etwas anbieten? Was verschafft mir die Ehre Eures Besuches?“ Alaghor überschlug sich beinahe, seine Fettpolster bebten als er den Sklaven nach einem weiteren Glas schickte. Der dunkel gekleidete Mann, die grauen Haaren in einem strengen Zopf, strich sich die Weste glatt und trat näher. „Zuviel der Ehre, Alaghor, keine Mühen wegen mir.“ Er ließ sich elegant auf einen Stuhl sinken und schlug die Beine übereinander. Ein Männerliebhaber, vermutete Alaghor und verzog das Gesicht als hätte er auf eine Zitrone gebissen. Das Sklaven-Bübchen brachte ein neues Glas und eine Schale Gebäck, dann zog er sich wieder in den Hintergrund zurück. Ghandor sah ihm nach, schüttelte dann aber unmerklich den Kopf. „Ich wurde angehalten mit Euch das Arena-Programm zu Ehren der Hochzeit von Prinz Tyal und der Lady Mara abzusprechen. Seine Majestät wünscht seinem Volk den Ruhm Siihr vor Augen zu führen und es zu amüsieren. Er erwartet ein fünftägiges Programm: Kämpfe, Tierhatz, Tänzerin, das übliche – Ihr kennt Euch da besser aus. Geld spielt keine Rolle, Seine Majestät scheut für die Hochzeit seines Erstgeborenen weder Kosten noch Mühen.“ Alaghor strahlte über das ganze, fette Gesicht. Ghandors Worte waren Musik in seinen Ohren! Er verbeugte sich sitzend. „Der Wille des Königs ist mir wie immer Befehl.“
Kaljana
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Thema: Re: Leseprobe "Die Diener der Dunkelheit" Mo März 10, 2008 9:58 pm
9. (Teil 1) Mit einem Rascheln stoben die kleinen Waldtiere davon als blaues Licht zwischen den Bäumen aufgleißte und Rago und Tyals Truppe enthüllte. Die Soldaten sprangen von ihren Pferden, brachen in Jubel aus und tanzten, kleinen Kindern zu Mittsommer gleich, miteinander über die Lichtung. Grinsend wandte sich Tyal von ihnen ab, drehte sich zu seiner Begleiterin um und erstarrte – hinter Rago trat ein schwarz gerüsteter Riese aus dem Unterholz. Die junge Frau sah seinen Blick, drehte sich um und keuchte auf. „Baraghor.“ Tyals Überraschung schlug in sekundenschnelle in blankes Entsetzen um und er wich zurück. Seine Männer verstummten nach und nach, beinahe greifbare Stille lag auf der Lichtung. Diese wurde nun von dem Gerüsteten unterbrochen. Trotz der Rüstung bewegte er sich lautlos, er nahm den Helm ab und starrte mit glitzernden Augen in die Runde. „Tu nicht so überrascht, Rago, deine Heuchelei bereitet mir Übelkeit. Hast du tatsächlich geglaubt du kannst diesem Gewürm helfen ohne dass ich es bemerke? Kind, wie tief bist du gesunken? Habe ich dich nicht Besseres gelehrt?“ Beinahe bedauernd streckte er die Hand nach Rago aus doch sie wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Baraghors Gesicht verdüsterte sich. „So…das ist also dein Dank? Nun, wir werden in der Burg weiterreden. Komm.“ Er wandte sich zum gehen, verhielt aber im Schritt als er merkte dass Rago ihm nicht folgte. „Ich werde nicht zulassen dass dein Eigensinn meine Reihen noch weiter schwächt! Bedenke was du ohne mich wärst – gar nichts, Rago, nur eine Wanze die man zertritt! Riskiere nicht dass ich dich wieder dazu mache!“ Rago war blass geworden, wich aber nicht zurück. Allerdings machte sie auch keine Anstalten dem Gerüsteten zu folgen. Baraghor schnaubte missbilligend, zuckte dann aber mit den Schultern. „Wie du willst. Du wirst sehen wohin dich dein Verhalten führt. Wir sehen uns zu Hause.“ Mit diesen Worten drehte er sich um, und noch in der Bewegung löste er sich in Luft auf, verschmolz mit der Dunkelheit. Tyal hörte Rago deutlich Luft holen und bemerkte selber dass er den Atem angehalten hatte. Bevor seine Männer ihn mit Fragen bestürmen konnten bedeutete Rago ihm mit einem Nicken ihr ein paar Schritte zur Seite zu folgen. „Ich bedaure diesen Auftritt, aber scheinbar wollte Baraghor mich einmal mehr an seine Macht erinnern. Nun, ich werde mich hüten sie ihm abzusprechen aber dass er grade jetzt auftaucht…“ Sie zuckte mit den Achseln und zwang sich zu einem Lächeln. Tyal, immer noch etwas blass um die Nase, erwiderte das Lächeln etwas gezwungen. Das Erscheinen und noch mehr das Verhalten des Dunklen Gottes beunruhigte ihn. Zwar glaubten die Menschen Siihrs an andere Götter aber Baraghor und sein Ruf waren auch ihnen bekannt. Doch was hatte er mit seiner Aussage bezüglich Rago sagen wollen? Wer, oder vielmehr was, war sie? Ein Schmerzensschrei ließ ihn aus seinen Gedanken auffahren. Die junge Frau war mit verzerrtem Gesicht in die Knie gebrochen und umklammerte die Magengegend mit den Armen, jede Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. Tyal eilte an ihre Seite, neben ihm ging der Heiler in die Hocke und sah ihn an, doch der Hauptmann zuckte hilflos mit den Schultern. „Rago? Lady, was fehlt Euch?“ Die junge Frau hatte die Lippen so fest zusammengepresst dass sie nur noch als blutleere Striche in ihrem Gesicht erkennbar waren. Die Augen fest geschlossen wiegte sie sich vor und zurück, Tränen netzten ihre bleiche Haut. Tyal berührte sie sanft an der Schulter. Als er versuchte sie aus ihrer verkrampften Haltung zu lösen warf sie sich ihm mit einem verzweifelten Aufschrei in die Arme und weinte hemmungslos. „Er ist tot! Markor ist tot.“ Ungeschickt hielt er Rago fest und tätschelte ihr den Rücken. „Rago, wer ist Markor?“ Sie antwortete nicht, lag einfach in seinem Armen und weinte. Tyal hielt sie fest und während er dort mit ihr kniete breitete sich in seinem Innern ein völlig neues Gefühl aus, etwas, das er zu beschreiben noch nicht in der Lage war. Er schüttelte unwillig den Kopf, dieses Gefühl durfte er nicht zulassen, wartete auf Siihr doch Mara auf ihn. Aber es ließ sich nicht vertreiben und nicht verdrängen, hartnäckig breitete sich die wohlige Wärme und das sanfte Prickeln der Geborgenheit in ihm aus. Unter seinen Männer entstand Unruhe und als der Hauptmann den Blick vom Gesicht der Frau hob erkannte er dass sich die Umgebung veränderte hatte – der Trupp war nicht mehr im Wald sondern stand nun mitsamt der Pferde auf einem weitläufigen Felsplateau. Rago löste sich aus seiner Umarmung und stand auf. Tyal erhob sich mit ihr und als er sich umdrehte erblickte er den Drachen. Der riesige Körper lag in einer ebenso großen Blutlache, Brust und Rücken des gewaltigen Tieres bildeten eine blutige Masse. Der Kopf war beinahe unversehrt, sah man von den blutigen, blinden Augen und dem verletzen Maul ab. Wäre nicht das ganze Blut und die verstreuten Geschosse, Steine und Pfeile, gewesen hätte Tyal einen Eid darauf geschworen der Drache schliefe nur. Die junge Frau machte ein paar taumelnde Schritte auf den geschuppten Kadaver zu und brach abermals in die Knie. Weinend umarmte sie die Schnauze des Drachens, beinahe wie es ein Kind bei seinem Hund oder Pferd getan hätte. Und so wie ein Kind mit seinem Hund gesprochen hätte sprach jetzt auch Rago mit sanfter Stimme zu dem Drachen. „Oh, du dummer, dummer Schuppenkopf. Warum bist du nicht einfach weggeflogen? Wer hat dir das angetan, Markor? Wer zerstört etwas so Kostbares? Lass mich nicht alleine, Großer, ich brauche dich doch!“ Tyal sah sich die Szene fassungslos an. War dies die gleiche junge Frau die noch vor nicht zwei Stunden mit einer Göttin diskutiert hatte? Glaubte man die Gerüchten und Geschichten über die Diener der Dunkelheit… konnte sie da überhaupt zu soviel Gefühl fähig sein? Doch irgendwas an der momentanen Verletzbarkeit, an der Tatsache dass auch diese Frau zu Schwäche fähig war und sich nicht scheute sie vor Wildfremden zu zeigen, beeindruckte und berührte ihn. Gedanklich verglich er sie mit Mara, seiner Verlobten. Wie Tag und Nacht. Mara war ganz die elegante, kokette Hofdame, kichernd und schmeichelnd aber wehe etwas ging nicht nach ihrem Kopf. Dann musste alles Zerbrechliche in Sicherheit gebracht werden sah es die Lady doch in solchen Momenten als Wurfgeschoss. Tyal atmete tief durch als ihm aufging mit was oder besser gesagt mit wem er sich da für den Rest seines Lebend binden wollte. Langsam ging er zu Rago hinüber, kniete sich neben sie und zog sie sanft in den Arm. Innerlich wand er sich, das schlechte Gewissen Mara gegenüber kämpfte mit den immer intensiver werdenden Gefühlen Rago gegenüber. Durfte er für diese Frau überhaupt etwas empfinden? Schließlich gehörte sie zum Dunklen, war Baraghors Dienerin. Unwillig schüttelte Tyal den Kopf: ihm war es egal wer sie war solange er sie nur lieben durfte. Rago hob den Kopf und sah ihn an. Ihre tränenfeuchten Augen glichen zwei dunklen Seen und schienen bis auf den Boden seiner Seele zu blicken. „Ich danke Euch, Hauptmann. Aber Ihr müsst jetzt gehen.“ Sie erhob sich und wies mit der Hand vage in Richtung eines kleinen Weges, der vom Plateau wegführte. „Folgt dem Pfad und dem Weg danach für zwei Stunden und Ihr kommt in der Nähe der Gelan-Kreuzung raus. Geht.“ Sie wandte den Soldaten den Rücken zu. Tyal schluckte, er war sich nicht sicher ob ihr Dank sich auf seine Gedanken oder nur auf seinen Trost bezog. Schulter zuckend trat er zu seinen Männer und gab den Befehl zum Aufsteigen. Langsam ritt der Tross auf den Pfad zu als Tyal sich noch einmal im Sattel umwandte und zu Rago und dem Drachen zurückschaute. Sie hatte sich ein paar Schritte von dem Leichnam entfernt und stand nun mit dem Gesicht zur Sonne und erhobenen Armen in der Mitte des Plateaus. Ihre Lippen bildeten für Tyal unhörbare Worte aber er sah wie die Luft um ihre Gestalt herum in Bewegung geriet. Ein kleiner Wirbelsturm umschloss sie, stieg dann nach oben und wanderte, der Richtungsweisung ihrer Hände folgend, hinüber zu dem Drachen. Wo der Wind auf den geschuppten Leib trat veränderte sich dieser. Die Wunden schlossen sich und die Schuppen änderten ihre Farbe von nachtschwarz zu gold. Das letzte, was Tyal sah bevor er um eine Biegung ritt und das Plateau außer Sicht kam, war ein helles Aufleuchten als sich die Sonne in dem nun vollständig goldenen Schuppenkleid Markors fing. „Leb wohl, Rago,“ flüsterte er, dann trieb er sein Pferd an die Spitze der Kolonne und ritt mit seinem Männer Richtung Siihr. Rago bemerkte den Aufbruch der Soldaten nicht. Sie hatte sich, nachdem der Wind verschwunden war, wieder an den Kopf des Drachen gekniet. Ihre Hände strichen liebevoll über die hornigen Brauenbögen, Markors Lieblingsstelle. Langsam stand sie auf und stieg zum letzten Mal in den Sattel. Die Trauer überschwemmte sie, nie wieder würden sie zusammen die Wolken jagen. Sicher, sie könnte sich bei den Lohrwald-Druiden ein neues Ei holen aber das wäre niemals dasselbe wie mit Markor. Sie glitt aus dem Sattel und nahm einen der herumliegenden Pfeile zur Hand. „Zeig mir deinen Besitzer.“ Vor ihrem innern Auge erschien das Bild eines Mannes, der mit anderen in der Runde saß und feierte. Rago veränderte den Blickwinkel und sah die Außenseite eines Hauses, ein Schild über dem Eingang zeigte ein blaues Wildschwein. Ein grimmiges Lächeln verzog das schöne Gesicht der Magierin. Sie würde ihre Rache bekommen. Ihre Gestalt verschwamm und mit der untergehenden Sonne verließ ein Kind der Nacht das Plateau.
Kaljana
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Thema: Re: Leseprobe "Die Diener der Dunkelheit" Mo März 10, 2008 9:59 pm
9. (Teil2)
Seit dem späten Nachmittag wurde im „Blauen Keiler“ gefeiert. Ein Barde war anwesend und die Männer waren ausgelassener Stimmung. Manch einer grübelte noch über den Fremden in der schwarzen Rüstung, aber wenn er dann das Gewicht des prallen Geldbeutels an seinem Gürtel spürte –jeder Mann, der mit auf dem Plateau gewesen war hatte einen bekommen- wurden die düsteren Gedanken beiseite geschoben. Der Alkohol floss in Strömen, der Wirt hatte seine Töchter vorsorglich zu seiner Schwester geschickt und ein paar leichte Mädchen besorgt. Dem jungen Barden gefiel der Trubel. Die Männer mochten seine Lieder und die kleine Schatulle, die zu seinen Füßen auf dem Boden stand, beherbergte tatsächlich außer Kupfer und Silber schon das eine oder andere Goldstück. Thomasian al’Ren, von den meisten Menschen Thom gerufen, strich sich eine honigfarbene Strähne hinters Ohr und fasste seine Gitarre liebevoll fester. Grade wollte er das nächste derbe Trinklieb anstimmen als er aus den Augenwinkeln bemerkte dass sich die Tür öffnete. Eine, in einen weiten Kapuzenumhang gehüllte, Gestalt betrat den Raum. Da sich die meisten Gäste in Thekennähe platziert hatten waren einige Tische an der Tür frei. Der Neuankömmling setzte sich an einen davon und faltete die Hände auf der zerkratzten Tischplatte. Thom traute den Lichtverhältnissen nicht vollständig aber er meinte unter der Kapuze ein Frauengesicht erkannt zu haben. Noch eine Hure? Nein, dann wäre sie zum Wirt durchgegangen. Dieser hatte den neuen Gast nun auch bemerkt und machte sich schnaufend auf den Weg. Auf halber Strecke zwischen Theke und Tür drehte er mit seltsam leerem Gesichtsausdruck mitten in der Bewegung um. Über dieses Verhalten doch ein wenig erstaunt sah Thom wieder zu der Gestalt und bemerkte wie sie die Hand wieder sinken ließ. Zeitgleich strich ein kalter Lufthauch über sein Gesicht. Schwarze Magie! Das konnte nur Ärger bedeuten. Die verhüllte Person erhob sich und lehnte sich in der Nähe der feiernden Männer an einen der Stützbalken. Grade wurde der scheinbare Anführer aufgefordert die Geschichte mit dem Drachen noch mal zu erzählen. Der Mann warf sich in die Brust, trank einen tiefen Schluck aus seinem Becher und begann. „Was soll ich euch noch groß erzählen, ihr wart doch dabei. Jeder von euch hat die Bestie gesehen, hat ihren faulen Atem gerochen und vor ihrer Abscheulichkeit gezittert!“ Thom hatte sich der Frau am Balken genähert. „Darf ich Euch mit einem bestimmten Lied erfreuen, Lady?“ Er musste sich beherrschen um nicht zurückzuweichen als sie ihm das Gesicht zuwandte und er sich von schwarzen, kalten Augen gemustert sah. Es war wirklich eine Dienerin der Dunkelheit. Seine Finger fanden wie von selber die Saiten seines Instruments und er begann ganz leise einen Schutzzauber um sich zu wirken, Bardenmagie wie sie selbst nur wenige seines Faches beherrschten. Spöttisch lächelnd bemerkte die Dunkle seine Bemühungen, unternahm aber nichts dagegen. „Meine einzige Freude heute wird Rache sein, Barde.“ Eine der Huren bedrängte den Erzähler den Drachen zu beschreiben. Er befeuchtete die Lippen und schloss die Augen, als müsse er sich entsinnen. „Sein abstoßender Leib war von Schuppen bedeckt, jeder so groß wie eine…nein, wie zwei Männerhände übereinander gelegt und in der Farbe von einem stumpfen Grau. Seine bösartigen Augen waren grün und jede seiner Klauen so lang wie ein Kind. Das Vieh war so groß wie Millers Scheune und hässlich wie seine Mutter.“ Gelächter brandete auf. Jäh verstummte es als sich vor dem Sprecher ein Dolch in die Tischplatte bohrte und dort zitternd stecken blieb. Den Knauf formte ein Drachenkopf mit aufgerissenem Maul. Schlagartig verstummten die Gäste und wandten wie ein Mann den Kopf zu der Frau mit den schwarzen Augen. „Wenn du schon mit deinen Heldentaten prahlst, bleib bei der Wahrheit und verdreh keine Tatsachen. Die Schuppen des Drachen waren schwarz wie der Nachthimmel, seine Augen, die die Entstehung der Welt gesehen haben, wie flüssiges Gold. Seine Krallen habe ich nie gemessen aber seine Eckzähne waren mannshoch. Seine Flügel konnten die Sonne verdecken und er war weder hässlich noch abstoßend!“ Der Erzähler, der den Worten mit offenem Mund gelauscht hatte, lief rot an und sprang auf. „Du bezichtigst mich der Lüge, Weib? Woher willst du wissen wie das Vieh aussah? Frauen hatten wir keine dabei als wir mit dem Krieger in der schwarzen Rüstung auf das Plateau gezogen sind!“ So schnell wie er aufgebraust war verstummte er als sich sein Blick mit dem der schwarzen Augen traf. Aber Rago antwortete nicht sofort. Ein Krieger in schwarzer Rüstung? Konnte das….würde ER tatsächlich so weit gehen um sie zu bestrafen? „Ich weiß besser als jeder andere wie Markor ausgesehen hat, schließlich bin ich mit ihm geflogen, habe mit ihm die Wolken und die Sterne gejagt. Ihr habt mir das einzige genommen was ich je geliebt habe…aber seid euch gewiss dass ich seinen Tod rächen werde. Und zwar hier und jetzt!“ Sie stieß sich ab und hielt von einer auf die andere Sekunde ein Schwert in der Rechten. Bevor einer der Männer reagieren konnte richtete sie die Klinge senkrecht zum Tavernendach aus und wie bei einem Springbrunnen perlte reine Dunkelheit über den Stahl, tropfte zu Boden, sammelte sich dort in kleinen Pfützen und verwandelte sich dann in einen feinen Dunst der sich langsam wie Morgennebel im gesamten Raum ausbreitete. Beinahe lebendig wand er sich an den erstarrten Menschen empor, glitt über nutzlose, in der Scheide gefangene, Schwerter hinweg. Die Nebelfinger liebkosten die Leiber, legten sich wie kameradschaftliche Arme um die Schulter und hielten schließlich vor den vor Entsetzen aufgerissenen Mündern. Rago, das Schwert immer noch über den Kopf erhoben, blickte in die Runde, kurz verweilten die Augen auf dem Barden, der sich, von einem silbrigen Netz umgeben, in den hintersten Winkel des Raumes geflüchtet hatte. Dann wandte sie den Blick wieder den Drachenjägern zu. „Für euch gab es ein Gestern, für euch gab es ein Heute. Aber es wird nie wieder ein Morgen für euch geben denn mein ist die Rache. Und ich fordere sie jetzt!“ Mit dem letzten Wort führte sie einen Streich von oben nach unten und im selben Augenblick, als die Spitze der schwarzen Waffe das abgewetzte Holz des Bodens berührte zuckten die Dunstfinger vor und wanden sich in die Menschen hinein. Gleichzeitig fiel die Lähmung von ihnen ab, doch selbst wenn sie etwas zu ihrer Verteidigung hätten unternehmen wollen kamen sie nicht mehr dazu. Thom sah fassungslos zu wie die Körper der eben noch so fröhlich Feiernden unter krampfhaften Zuckungen innerhalb weniger Atemzüge alterten. Haar und Zähne fielen aus, Haut wurde zu Pergament und spannte sich über altersgebeugte Knochen - doch der Prozess stoppte nicht! Verwesungsgeruch erfüllte die Luft als sich Organe zersetzen und aus Gesichtern Totenschädel wurden. Und immer noch lebten die Menschen! Vor ihm im Raum standen Wesen, wenig mehr als Skelette, aber immer noch litten und schrieen sie. Entsetzt wandte Thom den Blick ab und kauerte sich in seiner Ecke und hinter seinem Schutzwall zusammen. Solch eine Macht war ihm noch nie begegnet und auch solche Bosheit war ihm noch nie untergekommen. Rago stieß einen triumphalen Schrei aus, und das Schwert bis zum Heft in den Tavernenboden. Eine letzte Welle unendlicher Dunkelheit fegte durch den Raum und löschte alles Leben aus, die Skelette zerfielen zu Staub und Asche, endlich verklangen die Schreie. Seelenruhig nahm sie ihren Umhang wieder auf, schüttelte ihn aus und verließ dann langsam den Raum.
Zurück blieb ein verschreckter Barde in einem Raum voller Staub und Stille, wo noch zuvor heitere Männer und fröhlicher Gesang gewesen waren.
Kaljana
Anzahl der Beiträge : 13 Anmeldedatum : 08.03.08
Thema: Re: Leseprobe "Die Diener der Dunkelheit" Mo März 10, 2008 10:01 pm
10. Es war Frühlings-Jahrmarkt im Dorf und die jungen Druiden hat von ihren Lehrer die Erlaubnis erhalten anlässlich ihrer erst vor kurzem vollzogenen Weihen etwas feiern zu gehen. „Dalek, komm endlich, wir wollen los!“ Der junge Druide erhob sich langsam und strich sich das Stroh von der weißen Robe. Das Rehkitz, das zu seinen Füßen lag, hob den Kopf und sah ihn aus dunklen, vertrauensvollen Augen an. „Du hast es gehört, Sternchen. Für heute muss ich wohl gehen. Aber wenn ich wiederkomme bringe ich dir einen schönen Apfel mit. Bis dahin pass auf dich und dein Bein auf.“ Das Tier nickte langsam als hätte es ihn verstanden und legte das bandagierte Bein etwas bequemer im Stroh zurecht. Dalek fuhr ihm noch einmal zärtlich über den Kopf und eilte dann den anderen jungen Männern hinterher. Es war ihnen eingeschärft worden darauf zu achten dass das weiße Leinen der Roben auch nach dem Jahrmarkt noch weiß zu sein hatten aber momentan dachten die jungen Druiden nur ans Tanzen und die Gaukler, die sich wie jedes Jahr auch dieses Mal wieder eingefunden hatten. Dalek hoffte im Stillen dass er Narija wieder sehen würde, ein Gauklermädchen das mit drei Frettchen und einer großen, blau schimmernden Schlange auftrat. „He, träumst du schon von deiner kleinen Fee? Sie sieht dich ja doch nicht an, Dalek, dich in deiner weißen Robe.“ Jäh stolperte der Angesprochene und wurde von seinen lachenden Freunden vor einem Sturz bewahrt. „Ach, lacht soviel ihr wollt. Narija und ich sind Freunde seit wir Kinder waren. Nur weil ich jetzt Druide bin…es hat sich doch deswegen nichts zwischen uns geändert.“ Wie sehr sollte er sich da getäuscht haben! Kaum wurden die Gaukler den Druiden ansichtig verschlossenen sich ihre Gesichter und sie wurden seltsam still. Zwar duldeten die Lehren der Lossox-Druiden die freien Gedanken des fahrenden Volkes aber umgekehrt war den Gauklern das jahrhunderte alte Wissen der Druiden nicht ganz geheuer, fürchteten sie doch dass die Männer in den weißen Roben irgendwann auch ihre Geschichten und Geheimnisse aufdecken würden. Dalek war enttäuscht als Narija sich nach der Vorstellung beinahe überhastet in Lager der Gaukler zurückzog und er am provisorischen Tor der Wagenburg von den Wachen, Narijas großen Brüdern, betont höflich aber bestimmt abgewiesen wurde. Unter dem Spott seiner Freunde („Wir haben es dir ja gesagt“) stiefelte er missmutig über den Jahrmarkt, Zorn und Enttäuschung machten ihn blind für das bunte Treiben. „Hoppla…träumt Ihr, Herr?“ Eine weibliche Stimme riss Dalek aus seinen Gedanken. Vor ihm stand eine junge Frau und lächelte ihn an. Ihren grünen Augen funkelten belustigt und ihre schlanken Hände umfassten einen Henkelkorb mit bunten, duftenden Würfeln und Kugeln – hausgemachte Seife, wie es schien. Er war gegen sie geprallt. „Ent…entschuldige bitte, ich war in Gedanken. Dir ist…nichts passiert, hoffe ich.“ Dalek spürte wie er rot wurde und das Mädchen lachte leise auf. „Lachst du einen Druiden aus?“ fuhr der verwirrte junge Mann sie an und wollte sich im gleichen Moment am liebsten ohrfeigen weil sie blass wurde und unter gestammelten Entschuldigungen floh. Im nächsten Moment ratterte ein Fuhrwerk an Dalek vorbei und zwang ihn hastig zurückzuspringen. Dabei übersah er einen hinter ihm stehenden Hackklotz und fiel darüber – rücklings landete er im vom letzten Regen aufgeweichten Boden. Fluchend kam er wieder auf die Füße und zog seine Robe nach vorne. Die Rückseite war vom Kragen bis zum Saum schlammverschmiert. Das würde Ärger geben. Aber momentan waren die jungen Druiden auf dem Jahrmarkt, die älteren nutzen die Ruhe in der Siedlung um im Hain zu den hohen Göttern zu beten. Vielleicht schaffte er es zurück und konnte sich eine frische Robe nehmen bevor es jemand sah. Dalek rannte den Weg zur Druidensiedlung beinahe zurück, erst kurz vor dem hölzernen Zaun bremste er ab und spähte in die Umfriedung. Alles ruhig, niemand zu sehen. Er eilte weiter, in Richtung der Unterkünfte. „Dalek,“ raunte es plötzlich im Wind. „Dalek.“ Die Stimme klang weich, schmeichlerisch und lockte den jungen Druiden beinahe mitten im Schritt in Richtung der etwas abseits stehenden Häuser der hohen Druiden. „Komm. Komm zu mir. Komm und lerne.“ Dalek, den Blick seltsam verklärt, taumelte durch den Türvorhang in Meister Gerandes Hütte. Er durchwanderte den Raum und blieb vor einer großen Eichentruhe stehen. Seine Hände zitterten als er den Deckel hochklappte und einen in dunklen Samt eingeschlagenen Gegenstand heraushob und auf den Tisch legte. Er trat einen Schritt zurück und schüttelte sich wie ein nasser Hund als urplötzlich der seltsame Bann von ihm abfiel. Was, bei den hohen Göttern, tat er in der Hütte des höchsten Druiden? Er hatte sich doch umziehen gehen wollen damit es keinen Ärger gab. „Ärger? Pah. Alte, klapprige Männer ohne Kraft. Vor denen hast du Angst?“ Dalek schnappte nach Luft als der Gegenstand auf dem Tisch plötzlich ein Eigenleben entwickelte und sich senkrecht stellte. Das Tuch fiel herab und offenbarte einen ovalen, etwa drei Fuß hohen, Spiegel. Der Rang war aus Silber geschlagen und in Form von Weidenranken um die dunkle Spiegelfläche gewunden. Diese glühte nun von innen heraus auf und Dalek prallte zurück als ihn das Gesicht des gefangenen Seele Gasgariat anlächelte. „Nur keine falsche Scheu, junger Dalek. Tritt näher und lass uns reden. Oder hat dir der alte Wolf jeglichen Sinn für Abenteuer genommen?“ Der junge Druide zögerte. Er hatte Gasgariat seit jenem Tag auf der Lichtung nicht mehr gesehen und dieser Tag lag fünf Jahre zurück. Aber er hatte Gerandes Zorn und die Furcht in den Augen seines Meisters nicht vergessen. Konnte man der in den Spiegel gebannten Seele trauen? Aber was sollte sie ihm schon anhaben können? „Was…was willst du von mir?“ Gasgariat grinst breit. Er schien es sich bequem zu machen, verschränkte gar die Hände hinter dem Kopf. „Reden. Gesellschaft. Du glaubst gar nicht wie langweilig es in dieser Kiste ist. Der alte Wolf holt mich immer nur alle paar Jahre hervor um mal wieder einen Druidenschüler zu erschrecken. Aber das kann ich immerhin recht gut, oder?“ Dalek runzelte verwirrt die Stirn. „Was kannst du gut?“ Gasgariat kicherte. „Schüler erschrecken. Dabei will ich das gar nicht. Gerande stellt mich immer als böses Schreckgespenst dar.“ Der junge Druide schluckte und kratze sich nervös am Kinn. „Aber bist du das denn nicht? Böse, mein ich. Immerhin bist…warst du ein Diener der Dunkelheit. Einer von Baraghors Männern.“ Die gefangene Seele grinste breit und zwinkerte Dalek verschmitzt zu. „Und? Gut und Böse sind zwei Seiten derselben Münze. Hat dir das denn keiner beigebracht? Und Baraghor? Naja, die Leute reden gerne und viel…man kennt das ja. Es stimmt weniger als die Hälfte und davon auch wieder nur ein Teil.“ Das mit den beiden Seiten, den beiden Wegen, Licht und Dunkelheit hatten die Druiden den Schülern wohl gelehrt und auch wie schwer der helle Weg war und wie leicht man dem dunklen verfallen konnte. Gasgariat schien Daleks Gedanken lesen zu können, sein Grinsen wurde noch breiter. „Hm, hm, hm…so sehen sie es also immer noch. Irgendwie haben sie ja Recht, das geb’ ich zu aber dennoch…erscheine ich dir sooo böse? Wir unterhalten uns doch recht gut, oder?“ Unweigerlich nickte Dalek. Die Stimme schlug ihn mit jedem Wort mehr in Bann. „Na siehst du. Und da sagen sie immer ich wäre gefährlich und böse. Es tut weh immer so verleumdet zu werden, weißt du das? Auch wenn über einen gelacht wird. Aber das muss ich dir ja nicht erzählen…über dich wurde heute ja auch gelacht.“ Dalek nickte langsam und wurde rot. Das Gesicht des Mädchens ging ihm nicht aus dem Sinn. Ihr Duft, die Farbe ihres Haares in der Sonne, ihr Lachen...er schluckte schwer als sich ein verräterisches Ziehen in seine Leistengegend schlich. Das passierte in letzter Zeit viel zu häufig, befand er. Nachts träumte er von Narija oder der Milchmagd aus dem Dorf und morgens fanden sich dann weißliche Spuren in seiner Decke. Er versteckte sie dann vor den anderen Jung-Geweihten aber sein Gewissen lastete schwer, war er doch ein Druide und hatte Keuschheit gelobt. Gasgariat lachte gackernd. Er genoss den Anblick des sich innerlich windenden Druiden. Es würde leicht werden…so leicht. „Ich werd es keinem verraten, Dalek. Wir sind doch Freunde. Und Freunde helfen einander. Du kannst mir vertrauen.“ Die Stimme des Schemens war Honig und Seide, den giftigen Stachel verbarg er feinsäuberlich. Der junge Druide lächelte beinahe dankbar und ließ sich auf einen Schemel sinken. Die schmutzige Robe war vergessen und auch die Zeit bis zur Rückkehr der anderen Druiden. Er hob den Blick und betrachtete Gasgariats Gesicht. Dunkle Augen in einem blassen Gesicht, ein schmales Lächeln. Gar nicht bedrohlich oder böse. Aber konnte Meister Gerande sich wirklich so getäuscht haben? „Ach der. Der alte Wolf verliert Zähne und knurrt nur noch. Und das seit Jahren. Aber er hat sicher auch seine guten Seiten,“ fügte er rasch hinzu als sich Daleks Gesicht gefährlich verfinsterte. „Tut mir leid, Dalek. Ich weiß du siehst ihn hoch an. Bitte entschuldige, mein Freund, ich hab es nicht so gemeint.“ Beschwichtigend hob Gasgariat die Hände und lächelte den jungen Mann auf der andere Seite der Spiegelfläche an. Dieser schaute noch einen Moment finster drein, nickte dann aber langsam. „Schon in Ordnung. Es ist nicht immer einfach mit den hohen Druiden. Aber man lernt viel von ihnen. Wie…ist das mit Baraghor? Bringt er euch…ich meine, seinen Leuten auch Dinge bei? Was lernen sie von ihm?“ Der Spiegelschemen schaute Dalek nachdenklich an. Innerlich jubilierte er. „Nun…ich darf es dir ja eigentlich nicht sagen aber du bist ein Freund und als solcher…ich schlag dir etwas vor. Du…tust mir einen Gefallen und ich erzähl dir alles über die Schule Baraghors. Einverstanden?“ Dalek nickte langsam, Neugier siegte über Misstrauen. „Was soll denn das für ein Gefallen sein? Ich meine, du sitzt in einem Spiegel. Viel kann es nicht sein was du möchtest.“ Gasgariat witterte seinen Sieg und lächelte sanft. „Stimmt. Alles was ich möchte ist dass du deine Hand hebst und einen Finger auf die Spiegelfläche legst. Ich kann dich zwar nicht berühren aber es würde mir zeigen dass wir wirklich Freunde sind, dass du keine Angst vor mir hast.“ Dieser junge Narr schien keine Ahnung zu haben! Nur mühsam unterdrückte der Schemen ein triumphales Auflachen. Dalek nickte und erhob sich. Nun befanden sich seine hellen, grünen Augen auf einer Höhe mit Gasgariats schwarzen. Er hob langsam die Hand und näherte sich mit seinen Fingerspitzen der Spiegelfläche. Der Schemen hob seinerseits die Hand und legte sie mit der Handfläche gegen die scheinbar feste, andere Seite des Spiegels. Nur noch Millimeter trennten Finger und Glas und dann passierte es – Dalek berührte die Spiegelfläche, dort wo Gasgariats Hand war. Ein Donnerschlag rollte durch die kleine Hütte und der Schemen schrie triumphierend auf. Seine Hand durchbrach den Widerstand des Glases und packte das Handgelenk des jungen Druiden. Zentimeter um Zentimeter zog sich Gasgariat aus dem Spiegel. „Narr! Narren, allesamt! Das haben sie dir natürlich nicht gesagt!“ Der Schemen, nun langsam immer mehr an Substanz gewinnend, lachte schallend. Sein Oberkörper war nun schon aus dem Spiegel heraus und noch immer hielt er Daleks Hand gepackt. Dadurch dass der junge Mann nun in heller Panik vor dem Spiegel zurückwich zog er Gasgariat ins Freie. Der nun nutzlose Bannspiegel fiel mit einem dumpfen Schlag auf den Tisch zurück. Hämisch grinsend stieg der Diener Baraghors vollends aus dem Spiegel und strich sich über die schwarze Robe. Mit jeder Sekunde, die er länger aus dem Spiegel heraus war, gewann sein Gesicht, ja seine ganze Gestalt, an mehr Fülle. „Hab vielen Dank, Dalek. Du…,“ er legte dem Druiden beinahe freundschaftlich die Hand auf die Schulter „hast etwas gut bei mir.“ Er stieß Dalek von sich, der junge Mann taumelte zurück und riss im Fallen Gerandes kleines Kräuterregal um. Schreckensbleich starrte er zu dem über ihm drohenden Diener der Dunkelheit hinauf. Dieser verbeugte sich nun spöttisch, dann verschwamm seine Gestalt und ein Kind der Nacht, einer von Baraghors schwarzen Panthern, schoss durch den Türvorhang ins Freie. Geschrei wurde laut, scheinbar war die gewaltige Katze von den ersten Heimkehrern bemerkt worden. Nun ist alles aus, schoss es Dalek durch den Kopf. Seine Robe war schlammbesudelt, das Haus des höchsten Druiden in Unordnung. Und er hatte einen Spiegelschemen freigelassen. Gerande würde ihn umbringen! Nein…das taten Druiden einander nicht an. Aber ausschließen, verbannen würde sie ihn auf jeden Fall. Hastig schlug er den blinden Spiegel wieder in das Samttuch ein und legte ihn in die Truhe zurück. Er richtete das Regal wieder auf und ordnete mit fahrigen Bewegungen die Kräuter wieder ein. Ein rascher Blick durch den Raum, alles sah ungefähr so aus wie vor seinem Eindringen. Nun nichts wie raus und in die Unterkunft der Neugeweihten. Es schien so als wären die Rückkehrer noch am Tor, aufgeschreckt durch das Kind der Nacht. Dalek zog sich rasch eine frische Robe über und versteckte die verschlammte im Stroh seines Bettes. Er wusch sich schnell das Gesicht und wanderte dann, eine betont gleichgültige Miene aufsetzend, wieder Richtung Tor. Er hörte sich das aufgeregte Geschnatter an, beantwortete die Frage warum er nichts bemerkt habe damit dass er müde vom Jahrmarkt eingeschlafen war und tat den Rest des Tages sein Möglichstes den anderen Druiden und vor allem Meister Gerande aus dem Weg zu gehen.
In der Abenddämmerung stahl er sich aus der Umfriedung und floh, seine wenigen Habseeligkeiten unter dem Arm, in die Wälder.